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Mit Haut und Haaren

Mit Haut und Haaren

Titel: Mit Haut und Haaren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arnon Grünberg
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aber ich hab Tennis
gespielt.«
    »Es muss aus dem Handgelenk kommen.«
    »Ich bewege lieber den ganzen Arm«, sagt er.
    [439]  Der Verkäufer folgt ihnen diskret.
    »Möchtest du schwarzes oder lieber rotes Leder?«, will Roland wissen.
    »Vielleicht ist Rot fröhlicher«, meint Violet. »Schwarz finde ich so klischeemäßig. Rot erinnert mich mehr an Weihnachten.«
    »Das feiere ich selten. Hat eine Peitsche was mit Weihnachten zu tun?«
    »Nicht direkt.« Sie muss lachen und berührt Rolands Nacken. Es kitzelt.
    »Die hier hat auch einen stabileren Griff«,
sagt er. »Ich meine, ich will mir ja keinen Tennisarm holen. Ich möchte schon gern
gesund dabei bleiben.«
    Er gibt ihr einen Kuss auf die Wange, und sie gehen zur Kasse.
    »Es ist ein Geschenk«, sagt er. »Für dich. Weil ich dich glücklich machen
will.«
    Der Mann an der Kasse packt die Peitsche in eine Tüte, er sagt: »In ein
paar Stunden haben wir das Ergebnis. Unser Laden bleibt geöffnet,
aber ich lasse das Radio laufen.«
    27
    Lea hat sich in der Blauen Gans verabredet und es geschafft, mit nur zwanzig Minuten Verspätung zu kommen. Sven Durano
sitzt schon an der Bar. Er küsst sie auf beide Wangen.
    [440]  »Zwei- oder dreimal?«, fragt sie. »Ich weiß es nie bei euch Europäern.«
    »Dreimal«, sagt Durano. Er riecht frisch, als hätte er sich gerade rasiert,
und so fühlt er sich auch an. Es scheint ihn nicht zu stören, dass sie etwas zu
spät ist.
    Unbekümmert sieht er aus. Fröhlich. Sorglos.
    »Hast du reserviert?«, fragt er.
    Sie nickt und geht zu einer sehr jungen Frau mit schwarzen Schaftstiefeln, die die Gäste empfängt. »Ich habe reserviert«,
sagt sie. »Lea Ranzenhofer.«
    Sie bekommen einen Tisch im hinteren Drittel. Das Lokal ist nur halb
voll.
    Er ist, wie sie ihn in Erinnerung hat, groß gewachsen und freundlich.
    »Schön, dass du dich freimachen konntest«, sagt er.
    »Ich hatte Lust, dich wiederzusehen.«
    »Ja, Frankfurt war ein …«, er macht eine Pause, »… Erlebnis.«
    »Wie lief die Präsentation in Harvard?«
    »Interessiert dich das wirklich?«
    »Natürlich«, sagt sie.
    Er bestellt Tafelspitz, sie die Forelle. Sie nehmen keine Vorspeise.
    »Hast du extra für mich ein österreichisches Restaurant ausgesucht?«,
will er wissen. »Die Schweizer Küche ist übrigens ganz anders.«
    »Nein«, sagt sie, »nicht extra für dich. Ich hatte viel Gutes über das
Restaurant gehört. Und nicht nur gehört, auch gelesen. Wo waren wir stehengeblieben?«
    Sie fragt sich, ob er immer noch genauso zielstrebig ist [441]  wie in Frankfurt.
Oder ob seine Zielstrebigkeit einmalig war.
    Er antwortet nicht.
    »Harvard«, sagt sie. »Da waren wir stehengeblieben.«
    »Interessiert dich das wirklich?«
    »Ja«, sagt sie, »es interessiert mich wirklich.«
    »Es lief gut, hatte aber nichts mit dem Holocaust zu tun – ich hoffe, das enttäuscht dich nicht.« Er lacht und schenkt ihr und
sich Wasser ein. »Es ging um das Werk von Kahneman«, fährt er fort, »oder, genauer
gesagt, darum, dass er ein guter Psychologe sein mag, aber kein Ökonom, und den
Nobelpreis für Wirtschaft darum zu Unrecht bekommen hat,
aber vor allem, dass er den Irrtum begeht zu denken, Menschen gehorchten der Statistik.
Er macht Verhaltensexperimente mit Menschen und sagt: ›Schaut, wie verzerrt sie
die Dinge wahrnehmen, hahaha.‹ Und in meinem Artikel versuche ich zu zeigen, vereinfacht
gesagt, dass der Fehler nicht bei den Menschen liegt, sondern bei den Experimenten.
– Das muss dich doch zu Tode langweilen!?«
    »Der Fehler liegt bei den Experimenten«, wiederholt Lea. »Nicht bei den
Menschen.«
    Nach dem Essen nimmt er sie mit ins Soho Grand Hotel, wo er logiert.
    Er vögelt sie frohgemut. Munter. Anders kann man es nicht nennen. – Allerdings
will er den Fernseher dabei anlassen, um die Wahlergebnisse verfolgen zu können.
Als bekannt wird, dass Obama in Florida gewonnen hat, kommt er.
    Sie bleibt noch kurz liegen, während Sven auf der Bettkante weiter die
Ergebnisse verfolgt.
    [442]  Dann steht sie auf, nimmt ihre Kleider und zieht sich im Bad an. Zum
Kämmen fährt sie sich mit der Hand durch die Haare, dann legt sie etwas Lippenstift auf. Heute Nachmittag war sie noch mit Roland im Bett. Sie
ist ein Flittchen. Leise sagt sie zu ihrem Spiegelbild: »Du Flittchen.« Sie muss
lächeln, doch ist es kein heiteres Lächeln, eher eine Grimasse. Sie denkt an ihr
Buch, an die Kapitel, die sie noch schreiben muss.
    Als sie aus dem Bad kommt, tanzt

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