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Mit Haut und Haaren

Mit Haut und Haaren

Titel: Mit Haut und Haaren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arnon Grünberg
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Handy. Roland hat ihr geschrieben. »Du
hast deine Arbeit«, steht da, »und deinen Höß. Leute, die Höß haben, brauchen keine
Liebe. X«
    Es klingt ungewollt hart, doch nicht alles, was sich hart anhört, ist
auch so gemeint.
    Er will damit sagen, dass sie nicht nachlassen, ihre Höß-Biographie nicht
vernachlässigen soll. Das sei seine Aufgabe im Leben, hat er gesagt: dafür zu sorgen,
dass sie dem Völkermord treu bleibt.
    [450]  30
    »Warum weint der Mann da?«, fragt Violet.
    Sie zeigt auf einen Mann an der Bar. Roland ist mit ihr ins Nice Matin
gegangen. Sie war noch nie hier.
    »Ich denke, er weint, weil Obama gewonnen hat.«
    »Oh«, sagt sie.
    Eben beim Essen dachte sie plötzlich: Roland ist eigentlich schon ein
Netter. Auf seine eigene, etwas merkwürdige Art, aber doch nett. Jetzt schreibt
er hier am Tisch jemand anderem eine SMS , und der
Gedanke ist wieder verflogen.
    »Wem simst du denn da?«, fragt sie. »Es gehört sich nicht, beim Essen
anderen Leuten SMS zu schreiben. Das ist unhöflich.«
    »Entschuldige, das wollte ich nicht.«
    Er steckt sein Handy wieder ein.
    »Möchtest du noch etwas von meinem Nachtisch?«
    Sie schiebt ihm ihre Mousse au Chocolat hinüber.
    »Dir zuliebe ess ich es auf«, sagt er.
    Als sie auf dem Weg nach Hause sind, kommt ein Mann auf sie zu und umarmt
Roland. Er riecht nach Zigaretten und Alkohol. Der Mann sagt etwas über Obama, doch
weder Roland noch Violet können verstehen, was er meint.
    »Das ist doch schön, was wir hier erleben«, sagt Violet. »Ein historischer
Tag.«
    »So kann man es sehen«, antwortet Roland. »Ich finde
es auch nicht schlimm, auf der Straße von Wildfremden umarmt zu werden, aber der
hier hat mir ins Gesicht gespuckt. Das finde ich unangenehm.«
    [451]  Sie nimmt seinen Arm. Noch hundert Meter, dann sind sie zu Hause.
    Er holt sein Handy hervor.
    »Was ist denn jetzt schon wieder?«, fragt sie. »Was gibt es so Dringendes?«
    »Meine Ex«, antwortet Roland. »Sie kann nicht schlafen. Sie will, dass
ich mich um meinen Sohn kümmere und ein Semester pro Jahr in die Niederlande zurückkomme.
Ein Kind sei wichtiger als die Wissenschaft, schreibt
sie.«
    »Und was wirst du ihr antworten?«
    Er zuckt mit den Schultern.
    »Ich muss an meine Verantwortung denken. Ich habe einen Sohn, und davon
komme ich nicht los. Das nagt an mir wie ein bohrender Schmerz, der irgendwo in
einem Arm oder Fuß beginnt und sich durch den ganzen Körper frisst.« Sie findet, dass er traurig dreinschaut bei diesen Worten. So kennt
sie ihn nicht. Unsicher. »Und dann sehen wir uns auch öfter«,
sagt er. »Dann wohnen wir nicht mehr so weit auseinander. Für ein Semester pro Jahr
jedenfalls.«
    »Aber du kommst nicht wegen mir. Du kommst wegen deinem Sohn.«
    »So darfst du das nicht sehen.«
    »Das hast du selbst gerade gesagt. Die Verantwortung für deinen Sohn
nagt an dir. Nicht die für mich.«
    »Sei froh, dass nicht du schuld bist. Ich bin der Gefangene meines Sohns.
Ein Gefangener war ich schon immer. Erst der meiner Mutter, dann meiner Studenten,
jetzt der meines Sohns. Sei froh, dass ich nicht dein Gefangener bin.«
    »Du bist der Gefangene deiner Forschung.«
    [452]  An einer Ampel bleiben sie stehen.
    »Gefällt es dir nicht, dass ich in die Niederlande zurückkomme?«
    »Du kommst nicht wegen mir. Letztendlich bin ich dir egal. Du freust
dich, wenn es mir gutgeht, wie der Besitzer eines Meerschweinchens, wenn seinem
kleinen Liebling nichts fehlt.«
    »Die meisten Menschen gehen nicht mit ihrem Meerschweinchen ins Bett.«
    Er nimmt ihre Hand.
    »Was empfindest du für mich?«, fragt sie.
»Dein Sohn ist dein Gefängniswärter, deine Forschung dein Leben. Aber was bin dann
ich?«
    »Wenn ich mit dir zusammen bin, fühle ich mich wie für eine Viertelstunde
auf Freigang.«
    »Ich bin also für dich der Auslauf auf dem Gefängnishof?«
    »Du bist schön.«
    »Das sagst du sonst nie.«
    Sie stehen vor Rolands Haus.
    »Was für ein Mann ist das eigentlich«, fragt er, »dieser Satellitentelefonhändler?«
    Sie denkt einen Moment nach.
    »Er ist spirituell«, sagt sie. »Er meditiert ab und zu. So geht es ihm
am besten.«
    »Mein Gott, wenn ich das Wort ›spirituell‹ nur schon höre, ziehe ich
meinen Revolver.«
    »Jetzt red doch nicht so komisch daher.«
    »Mit wem hat es mehr Spaß gemacht«, fragt er, »mit ihm oder mit mir?«
    [453]  »Tut mir leid«, sagt sie. »Darauf werde ich nicht antworten. Das ist
Frauenzeitschriftenniveau. Dazu geb ich mich

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