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Mit Haut und Haaren

Mit Haut und Haaren

Titel: Mit Haut und Haaren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arnon Grünberg
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Sven auf dem Bett.
    »Obama hat gewonnen«, ruft er, »jetzt ist
es sicher! Sie können ihm den Sieg nicht mehr nehmen. Endlich ein schwarzer Präsident!«
    Er zieht sie an sich. »Das ist der Beginn einer neuen Ära«, sagt er.
»Das müssen wir feiern, machen wir noch eine Nummer! Und keine Sorge wegen meiner
Freundin, wir haben Vereinbarungen: Don’t ask, don’t tell. «
    Zum zweiten Mal an dem Abend zieht er sie aus.
    So läuten Lea Ranzenhofer und Sven Durano die Ära Obama ein: mit sorglosem
Vögeln in einem Hotelzimmer im Soho Grand Hotel.
    Hinterher geht Lea zum Anziehen und Frischmachen wieder ins Bad. Als
sie damit fertig ist, hat Obama in Chicago seine Siegesrede begonnen.
    »Jetzt muss ich aber wirklich nach Hause zu meinen Kindern«, sagt Lea
zu Sven Durano.
    [443]  28
    Roland und Violet kommen vom Einkauf in der Christopher Street,
und wieder trifft Roland auf seine Vermieterin, die vor
dem Haus herumsteht, als hätte sie nichts anderes zu tun.
    »Ah, Mister Oberstein! Mal sehen wir uns wochenlang gar nicht und dann
plötzlich zweimal am Tag.« Sie schaut Violet forschend an.
    »Und was für eine hübsche Begleiterin«, fügt sie hinzu, »so wunderbar
blond!«
    Roland möchte ins Haus, er fühlt sich nicht wohl wegen der Peitsche,
obwohl die in einer schwarzen Tüte steckt. Er murmelt etwas Unverständliches und
macht Anstalten weiterzugehen, doch die Vermieterin weicht nicht zur Seite.
    »Er ist Araber«, sagt sie.
    »Wer?«, fragt Roland.
    »Obama. Ich hab nichts gegen Schwarze. Aber er ist Araber. Ich hab immer
die Demokraten gewählt, aber ein Araber – das geht zu weit, das wird bös enden.
Da liegt für mich die Grenze. Ein verkappter Moslem! Ein trojanisches Pferd haben
wir uns mit dem ins Haus geholt, ich sag’s Ihnen!«
    Er grüßt sie freundlich und schiebt sich vorsichtig an ihr vorbei.
    »Eine komische Frau«, sagt Violet. »Wie hältst du’s nur mit der aus?«
    Sie hängt ihre Jacke auf und streift sich
die Stiefel ab.
    »Ich sehe sie kaum«, antwortet Roland. »Ich habe keine Probleme mit ihr.«
    [444]  Er gibt Violet die schwarze Tüte. »Das ist für dich«, sagt er. »Dein
Geschenk.«
    »Es ist auch für dich«, antwortet sie. Sie gibt ihm die Tüte zurück.
    »Möchtest du jetzt essen oder lieber noch warten? Willst du erst die
Peitsche einweihen?«
    »Ja«, sagt sie, »erst die Peitsche einweihen.«
    »Morgen früh muss ich nach Fairfax, das weißt du, ich hab eine Vorlesung.
Und heute Abend muss ich auch noch an meinem Forschungsprojekt arbeiten.«
    »Natürlich«, antwortet sie. »An deinem Forschungsprojekt arbeitest du
immer.«
    Er wäscht sich die Hände und legt Tschaikowski auf. Irgendwie findet er das ganz passend. Die Peitsche und Tschaikowski.
Tschaikowski und die Peitsche.
    Sie zieht sich Pullover und T-Shirt aus, legt sich bäuchlings aufs Bett.
Meneer Bär thront auf einem Kissen. Er sieht zufrieden aus.
    »Stört dich die Musik auch nicht?«, fragt Roland.
    Sie verneint.
    Er holt die Peitsche aus der Tüte. Die Farbe der Weihnacht. Roland mag
keine Feste mit Geselligkeitszwang. Während andere Leute mit ihren Familien zusammenkommen,
sitzt er am liebsten in Ruhe an seiner Forschung. Sanft streicht
er mit der geflochtenen Spitze über Violets nackten Rücken,
ihre BH -Träger, den Blick auf seine Bücher gerichtet.
»Was ist das hier?«, fragt er. »Was habe ich in der Hand?«
    »Eine süße kleine Peitsche«, sagt Violet.
    Die Worte treffen, rühren ihn, erregen ihn
auch. Das ist [445]  ihr Rollenspiel, alles, was sie haben. Freiheit ist die Möglichkeit,
die Rolle zu wechseln, bald in die eine, bald in die andere zu schlüpfen. Jede andere
Definition erscheint ihm haltlos. Immer eine neue Rolle,
von einem Spiel zum nächsten, und dann ist das Spiel irgendwann aus.
    »Und was werde ich gleich machen, mit dieser süßen kleinen Peitsche?«
    »Du wirst mir den Hintern versohlen«, antwortet sie mit heiserer Stimme.
    Immer noch streichelt er ihr mit dem roten Ende der Peitsche über den
Rücken. Das feierliche Rot, das sie an Weihnachtsbaum und Geschenke erinnert – was
gehört sonst noch dazu?
    »Und warum tue ich das?«, fragt er. »Warum werde ich dir den Hintern
versohlen? Warum hast du das verdient?«
    »Weil ich ein loses Mädchen bin«, antwortet sie.
    Auch dieses Wort elektrisiert ihn. Woher hat sie das? Aus welcher Zeit
stammt das wohl? Und wer benutzt so einen Ausdruck heute noch?
    »Keine Schlampe?«, fragt er.
    »Nein«, sagt sie. »Schlampe ist gemein.

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