Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Mit Haut und Haaren

Mit Haut und Haaren

Titel: Mit Haut und Haaren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arnon Grünberg
Vom Netzwerk:
nicht her.«
Dann sperrt sie den Mund auf und fragt: »Siehst du, wie weiß meine Zähne sind? Deine
Frau hat sie mir gebleicht.«
    »Meine Ex.«
    Auf dem Bett liegt die süße kleine Peitsche. Wie eine Schlange.
    31
    Vier Tage nach Obamas Wahlsieg geht Lea mit Roland und den
zwei Kindern im Central Park spazieren. Ihr Gesicht ist rissig vor Kälte.
    »Ich fahre übermorgen nach Washington, ich muss im Archiv des Holocaustmuseums
was recherchieren.«
    »Oh, schön«, sagt Roland.
    »Ich bin in der Nähe von Fairfax, aber ich glaube nicht, dass ich vorbeikommen
kann.«
    »Das macht nichts, in Fairfax ist doch nicht
viel los.«
    »Du bist da.«
    »Ja«, erwidert Roland. »Aber Violet dann auch.«
    »Wo ist sie jetzt eigentlich?«
    »Im MoMa.«
    Bei einem Spielplatz setzen sie sich auf eine Bank, obwohl es dazu eigentlich
zu kalt ist.
    »Was macht dein Buch?«, fragt er. »Was macht
Höß?«
    [454]  »Gut«, sagt sie, »nur noch ein paar Abschnitte. Und bei dir? Hast
du schon Zeit gehabt, mein erstes Kapitel zu lesen?«
    »Ich bin dabei. Ich lese langsam. Und meine eigene Forschung kostet auch
sehr viel Zeit.«
    Sie wirft einen Blick auf die Kinder.
    »Ich hab Reiswaffeln
dabei, möchtest du auch eine?«
    »Nein danke.«
    Sie nimmt eine Waffel und beginnt, sie zu
knabbern.
    »Hast du in den Niederlanden eigentlich noch einen Hausarzt?«, fragt
sie plötzlich.
    Ihre Kinder stehen an einer Rutschbahn Schlange.
    »Ja«, sagt Roland. »Wieso?«
    Sie beißt in ihre Waffel. Sie trägt rote Wollhandschuhe.
    »Euthanasie ist bei euch doch erlaubt?«
    »Ich glaub schon«, antwortet Roland. »Ich hab mich noch nie weiter damit
beschäftigt. Zu Hause hab ich ein Buch über das Euthanasieprogramm
der Nazis, aber das ist was anderes.«
    Lea behält ihre Kinder auf der Rutschbahn im Auge. Gabe ist viel ängstlicher
als seine jüngere Schwester. Er bremst ständig ab und rutscht dadurch kaum.
    »Warum fragst du?«, will Roland wissen. »Willst du Schluss machen?«
    Sie hat sich an seine Frotzeleien gewöhnt. Sie nimmt noch einen Bissen.
    »Ich will nicht, dass mein Großvater noch länger leidet. So geht es nicht
weiter. Und ich dachte, du könntest mir vielleicht helfen.«
    »Der Vater deiner Mutter?«
    [455]  »Ja.«
    »Und deine Mutter? Was meint die dazu?«
    »Meine Mutter und mein Großvater können sich nicht leiden. Sie hassen
sich. Er ist dement, aber fürs Hassen reicht’s immer noch. Sie meint also gar nichts.
Sie ist eine schwierige Frau.«
    Roland starrt vor sich hin.
    »In der Schweiz ginge es auch«, sagt er.
    »Was?«
    »Sterben. Sterben auf Verlangen.«
    »Aber da kenne ich niemanden. Und ich möchte gern, dass es ein bisschen
persönlich abläuft. Die Euthanasie. Und sein Tod.«
    Lea kennt Sven Durano in Zürich, aber dem will sie den Tod ihres Großvaters
nicht aufbürden.
    Roland nimmt ihre Hand, doch sie macht sich frei. Sie will nicht, dass
die Kinder es sehen.
    »Oh, dafür hältst du mich also«, meint er lachend.
    »Was willst du sagen?«
    »Ich bin kein lebender Dildo. Ich bin der Engel des Todes.«

[457]  VI
    Der Markt

[459]  1
    Slachter, Magister Artium, »nur mit ›S‹«, hatte er am Telefon
gesagt, würde in der Fakultätscafeteria auf ihn warten und ihn ein wenig herumführen.
Eine offizielle Vorstellung am Institut für Fiskal- und
Finanzwissenschaften würde später erfolgen, doch da habe
er nichts zu befürchten. Die Atmosphäre am Institut sei locker und freundlich, anders
als an anderen Universitäten.
    Am Morgen hatte er den Zug aus Amsterdam nach Leiden genommen, sich vorher
auf einem Stadtplan den Weg vom Bahnhof zur Universität eingeprägt, war aber zuletzt
trotzdem in die Irre gelaufen.
    In einer Kneipe hatte Oberstein den Barmann gebeten, ihm ein Taxi zu
rufen. In Amsterdam kannte er die Nummer der Zentrale auswendig, in Leiden nicht,
hier war er seit Jahren nicht mehr gewesen.
    Als das Taxi endlich kam und er die Adresse nannte, blaffte der Fahrer ihn an: »Und dafür lassen Sie mich extra kommen?!«
    Diese Rückkehr war eine Niederlage, so empfand Oberstein es jedenfalls.
Er tat es für Jonathan, als sein Gefangener, und trotzdem änderte das nichts an
diesem Gefühl. Niederlande: Für ihn war das gleichbedeutend mit Niederlage.
    Ohne größere Widerstände hatte die George Mason ihn [460]  ziehen lassen.
So leicht, dass es ihm beinahe weh tat. Und im Herbst könne er natürlich problemlos
wieder zurückkehren. Wenn seine persönlichen Umstände es erforderten, dass er ein
Semester

Weitere Kostenlose Bücher