Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Mit Haut und Haaren

Mit Haut und Haaren

Titel: Mit Haut und Haaren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arnon Grünberg
Vom Netzwerk:
Körperkontakt
mit einem gehabt, wollen sie Beachtung und dann noch mehr Körperkontakt und noch
mehr Beachtung. Doch wo bleibt seine Forschung? Wo bleibt die Spekulationsblase?
    »Ja, du hast deine Frage gestellt«, sagt er. »Ich lese das hier zu Ende,
dann komme ich zu dir. Okay?«
    Er versucht, freundlich zu klingen, er will es sich mit ihr nicht verderben.
    »Ein rätselhafter Mann bist du«, sagt sie.
Und dabei schaut sie ihn an, traurig, so scheint es, doch auch voller Mitleid.
    »Überhaupt nicht rätselhaft. In einer Dreiviertelstunde
kann ich zu dir kommen, aber jetzt muss ich das hier noch lesen. Das ist meine Arbeit.«
    Schöner kann er es nicht sagen. Es lässt alle Optionen offen. Ihm macht es nichts aus. Einmal ein lebender Dildo, kann
man auch öfter als solcher benutzt werden. Der eine [523]  nennt
es vielleicht einen »Liebesdienst«, er sieht es als eine Art Höflichkeit. Eine freundliche
Notlüge, die ausnahmsweise nicht aus Worten, sondern aus fleischlicher
Dienstleistung besteht.
    Sie steht auf.
    »Undurchschaubar bist du, Roland Oberstein«, sagt sie. »Undurchschaubar,
ein kalter Fisch.«
    Kalter Fisch, das hat ihm noch keiner gesagt. Doch ihm ist, als meine
sie noch etwas anderes: Der Fisch stinkt.
    Sie geht zur Tür. Dann dreht sie sich um und sagt: »Wenn du die anderen
Kuratoriumsmitglieder kennenlernen willst, lässt du es mich wissen.«
    23
    Gwenny sitzt auf dem Bett, vor sich ihr Notebook. Auf Facebook
chattet sie gerade mit Lieke. »Er hat Apfelsaft getrunken«,
schreibt sie.
    »Langweilig«, antwortet Lieke. »Wie seine Vorlesung. Du hast die Wette
übrigens noch nicht gewonnen. Und du hast nur noch bis Ostern. LOL .«
    »Ich verliere nicht gern«, antwortet Gwenny. »Habe ihn auch schon geküsst.
Übrigens schon bessere Küsse erlebt, er bohrte herum wie ein durchgedrehter Stabmixer.«
    Lieke und sie studieren zusammen und reiten auf demselben Bauernhof.
    Liekes Pferd heißt »Herzogin«.
    [524]  »Hi, hi«, schreibt Lieke zurück. »Stabmixer!«
    Gwenny schließt ihr Notebook. In ihrem Schlafoutfit,
einem blauen T-Shirt und einer kurzen Hose, die sie einmal in Frankreich gekauft hat, stellt sie sich mit ihrer Taschenlampe ans Fenster.
    Manchmal sendet sie dem Mädchen im Haus nebenan Lichtsignale, die das
Mädchen dann mit seiner eigenen Taschenlampe beantwortet.
    Doch heute schläft das Mädchen nebenan schon.
    24
    Professor P.W.F.M. Verkerk, wissenschaftlicher
Leiter des Instituts für Fiskal- und Finanzwissenschaften,
ist ein großgewachsener, hagerer Mann mit einem tadellos aufgeräumten Büro in einem
ruhigen Teil des Kamerlingh-Onnes-Gebäudes. Roland ist ihm einmal begegnet, doch
in seinem Büro ist er noch nie gewesen. Er sieht zwei mächtige Topfpflanzen, deren Name ihm gerade nicht einfällt. Der Professor
trägt einen Schnurrbart, der genauso imposant aussieht wie seine Pflanzen.
    Nach den üblichen Einleitungsfloskeln stellt
P.W.F.M. Verkerk ein paar Fragen, die so nichtssagend sind, dass eine Antwort kaum
lohnt. (»Gefällt’s dir in Leiden? Wie findest du das
Niveau der Studenten?«) Als auch das erledigt ist, kommt er zur Sache.
    »Sagt dir der Name Samuel Saitoti etwas?«
    [525]  Oberstein antwortet, dass Samuel einer seiner Studenten ist.
    »Es ist uns zu Ohren gekommen«, sagt Verkerk, »dass du ihm kürzlich in
einer Klausur vier Punkte gegeben hast.«
    Oberstein ist erstaunt, dass ein Professor sich für Erstsemesterstudenten
interessiert. Auch fragt er sich, wer diese »wir« sind, oder sollte Verkerk von
sich im Pluralis Majestatis sprechen?
    »Das könnte sein«, sagt Oberstein neutral.
    »Die vier Punkte sind Samuel, was sage ich, der ganzen Familie Saitoti
ein gewaltiger Dorn im Auge.«
    Verkerk lehnt sich zurück.
    »Das kann ich mir vorstellen, aber es gibt Wiederholungsklausuren. Es
ist keine Tragödie.«
    »Roland«, sagt Verkerk, noch immer zurückgelehnt und sich bedächtig über
den Schnurrbart streichend, »Samuels Vater, Meneer Saitoti, ist einer der reichsten
Männer von Kenia. Und nicht nur reich, er ist auch Philanthrop, ein außerordentlich
geistreicher und belesener Mann, ich habe ihn einmal persönlich kennengelernt. Es
war ein Privileg, mit ihm sprechen zu dürfen. Meneer Saitoti steht im Begriff, unserer Fakultät eine größere Spende zukommen zu lassen,
als Zeichen der Wertschätzung, zum Dank, dass wir seinen Sohn bei uns aufgenommen
haben. Und jetzt ist die Familie Saitoti entsetzt, sie ist von der Universität Leiden
enttäuscht.

Weitere Kostenlose Bücher