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Mit Haut und Haaren

Mit Haut und Haaren

Titel: Mit Haut und Haaren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arnon Grünberg
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Warum? Weil du ihrem Sohn vier Punkte gegeben hast. Nun habe ich Meneer
Saitoti sofort begreiflich zu machen versucht, dass du nicht die Universität Leiden
vertrittst, nicht mal die Fakultät, nicht einmal unser Institut, eigentlich bist
du eine Art Zeitarbeitskraft.«
    [526]  Das Wort ›Zeitarbeitskraft‹ scheint P.W.F.M . Verkerk gewaltig zu amüsieren, denn er bricht in schallendes
Gelächter aus, das zum Glück nicht lange anhält. Als Verkerk sich wieder beruhigt
hat, sagt Oberstein: »Als Zeitarbeitskraft sehe ich mich
eigentlich nicht, aber wenn mich das Institut als solche betrachtet, will ich in
Zukunft versuchen, mich entsprechend zu verhalten.«
    »Du verstehst mich nicht, Oberstein. Es geht darum, dass Meneer Saitoti,
zu Unrecht natürlich, aber ich will dir seine Sorge doch mitteilen, der Meinung
ist, dass die Hautfarbe in der Beurteilung seines Sohnes eine gewisse Rolle gespielt
hat.«
    »Hautfarbe?«
    »Reden wir nicht drum herum«, sagt Verkerk. »Samuel ist ein kleiner Neger.«
    »Ein ›Neger‹?«
    Das Wort erschreckt ihn. Es ist eine Anschuldigung, ja mehr noch, es
enthält den Schuldspruch gleich in sich.
    »Ich sage ja nicht, dass du was gegen Schwarze hast, ich sag nur, dass
du den gegen dich aufgekommenen Verdacht restlos zerstreuen könntest, wenn du bereit
wärst, dir Samuels Klausur noch einmal mit frischem Blick anzusehen. Einem etwas
milderen diesmal vielleicht.«
    Ein ironisches Lächeln spielt um den Mund des Professors.
    »Lass dein Angesicht abermals über Samuels Klausur leuchten, schlage
ich vor. Ich bin mir ganz sicher, dass du über ein gerüttelt Maß Mitgefühl verfügst.
Vielleicht weißt du, dass wir jeden Donnerstagabend mit ein paar Kollegen essen
gehen. In Leiden gibt es hervorragende chinesische [527]  und indonesische Restaurants,
und auch einen netten Thai. Alle sind Professoren, aber die Zeiten der Hierarchie
sind in Leiden gottlob vorbei. Komm doch einfach mal mit!«
    Roland steht auf.
    »Es war mir bekannt«, sagt er, »dass Leiden die älteste Universität der
Niederlande ist, aber nicht, dass es zugleich die korrupteste ist.«
    Er will das Büro verlassen, doch Verkerk ruft ihn
zurück.
    »Hybris«, schleudert Verkerk ihm entgegen. Jetzt lächelt er nicht mehr.
Sein Blick ist hart und unerbittlich. »Oberstein, du leidest an Hybris. Wenn du
deine Klassiker gelesen hättest, wüsstest du, wohin das führt!«
    25
    Gwenny ist für das Drängen anderer Leute empfänglich, vor allem
Männer können einen sehr drängen. Nicht, dass Oberstein das getan hätte, das ist
offenbar nicht seine Art, doch sie hält gern ihre Versprechen.
Und warum mit einem Spiel aufhören, wenn es gerade gut läuft?
    Mit Zweigs Brief einer Unbekannten steht sie
in Obersteins Büro.
    Er schaut sie an, als könne er sich nur dunkel an sie erinnern.
    »Das hatte ich Ihnen versprochen«, sagt sie und hält ihm das Buch hin.
    Er nimmt es entgegen.
    [528]  »Es ist ziemlich dünn«, sagt er.
    Am liebsten würde sie sagen: »Boah, was für ’ne geistreiche Bemerkung!«
    Doch sie sagt: »Das weiß ich. Sie lesen doch
Deutsch?«
    »Ich habe, obwohl ich Wirtschaftswissenschaftler bin, Marx im Original
studiert, was man nicht von allen Kollegen behaupten kann.« Er fixiert Slachter, doch der hebt nicht den Blick.
    »Darf ich’s mir leihen?«, fragt er.
    »Es ist ein Geschenk«, antwortet sie.
    Er blättert darin, und weil er offenbar nichts
mehr sagen will, beendet sie selbst das Gespräch: »Also dann, schönen Tag noch,
Meneer Oberstein.«
    »Ich seh dich doch in der nächsten Vorlesung?«
    »Natürlich«, versichert sie. »Das heißt: wenn mein Pferd mich nicht zufällig
dringend braucht.«
    26
    Violet geht nackt durch Rolands Zimmer. Er schaut ihr zu, betrachtet
ihren Körper.
    Mit einem Glas Wasser kommt sie aus dem Bad zurück.
    »Manchmal frage ich mich«, sagt sie, »warum du überhaupt nicht eifersüchtig
bist. Ich meine, ganz normal ist das nicht. Und besonders ehrenvoll für mich auch
nicht.«
    Er sitzt im Bett, zugedeckt, neben ihm liegt Meneer Bär.
    »Ich bin eifersüchtig«, sagt er. »Aber ich
hab viel zu tun. [529]  Ich muss nach Lyon zu einer Konferenz und hab meinen Vortrag
noch nicht fertig. Für praktizierte Eifersucht hab ich keine Zeit. Ich werd mir
Zeit dafür nehmen, ich werd meinen Kalender durchforsten und einen geeigneten Termin
dafür suchen. Wie war das übrigens mit deiner Deadline?
Bis Weihnachten wolltest du doch einen neuen Liebhaber gefunden haben und mir

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