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Mit Haut und Haaren

Mit Haut und Haaren

Titel: Mit Haut und Haaren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arnon Grünberg
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und Gabe spielen.«
    »Aber du brauchst es doch nicht auf ihrem
Zimmer zu tun.«
    »Das hier ist ihr Zuhause, Lea. Wir haben keine Geheimnisse vor unseren
Kindern. Ich finde es wichtig, dass, wenn sie mich einmal
fragen: ›Papa, guckst du Pornos?‹, ich antworten kann: ›Nein, ich nicht, ich bin
nicht degeneriert.‹«
    »Es war nur eine Idee«, sagte sie. »Ich versuch
dir zu helfen.«
    Ihr Mann blickte nachdenklich an ihr vorbei, als gingen die Überwachungskameras
ihm immer noch nicht aus dem Kopf, als wolle er sichergehen, dass in seiner Wohnung
keine solchen Kameras hingen, dann sagte er: »Starr mich nicht so herablassend an.
Ich weiß, dass du meine Arbeit verachtest. Ich weiß, dass du mich für einen ordinären
Dorfbürgermeister hältst, denn alles, was nichts mit dem Holocaust zu tun hat, ist
unter deiner Würde. Was kein Völkermord ist, zählt nicht für dich. Aber ich sage
dir, Lea, es gibt ein Leben jenseits des Völkermords. Das Leben geht weiter, es
ist weitergegangen, und das tut es noch immer, und ich bin kein Dorfbürgermeister,
ich bin ein fähiger Politiker. [157]  Dank meiner Anstrengungen kannst du dich den lieben
langen Tag mit Völkermord abgeben. Wenn von deinem Buch irgendwann mal fünftausend
Exemplare verkauft werden, ist das ein Wunder. Nur weil
meine Karriere auf einem gesunden Fundament steht – weil meine Wahlkampfmaschine
dafür gesorgt hat, dass ich gewählt worden bin, und dafür sorgen wird, dass ich
wiedergewählt werde –, kannst du dich tagein, tagaus mit deinem Höß beschäftigen. Wenn wir von Höß leben müssten, wären wir arm wie Kirchenmäuse,
wir müssten die Kinder zum Betteln schicken. Weil ich so hart arbeite, für dich
und die Kinder, kann ich vielleicht nicht jeden Abend eine Erektion produzieren,
aber muss man daraus gleich ein Problem machen? Ist das nicht normal? Wir haben
Ava und Gabe. Ich muss mich um meine politische Karriere kümmern, und du nervst
mich mit Erektionen, ich finde das nicht nur unangenehm
und undankbar, sondern auch ein bisschen pervers.«
    »Ich finde das nicht unangenehm und undankbar«,
erwiderte Lea entschieden. »Und eigentlich auch nicht pervers. Ich habe nun einmal
Bedürfnisse. Und du solltest auch welche haben. Menschliche Bedürfnisse.«
    Doch Letzteres kam nur noch zögernd heraus. Als sei sie sich selbst nicht
so sicher, was menschliche Bedürfnisse waren und was nicht.
    »Woher willst du das wissen?« Die Stimme ihres Mannes klang scharf, doch
auch ein wenig ängstlich. »Was verstehst du schon von Dankbarkeit? Oder davon, was
normal ist? Woher weißt du, was deine Bedürfnisse sind und dass du ihnen nachgeben
musst? Vielleicht ist es viel besser, das [158]  nicht zu tun. Schreib lieber noch ein
Kapitel über den Holocaust, statt dich auf deine Bedürfnisse zu stürzen, wär das
keine gute Idee? Lass uns mehr mit den Kindern machen. Ich unternehme lieber was
mit den Kindern, als Erektionen zu produzieren, ich sag’s dir ganz ehrlich.«
    Seine Worte taten ihr weh. Er wusste, dass es ihr schwacher Punkt war
– ihre Angst, eine schlechte Mutter zu sein, doch er vermied nicht etwa diskret
dieses Thema, aus Zuneigung oder Respekt, nein: Er steuerte direkt darauf zu.
    »Ich hab meine Freundinnen gefragt.«
    »Deine Freundinnen. Welche Freundinnen?«
    »Valeria.«
    »Wer ist das?«
    »Eine meiner besten Freundinnen. Sie hat vor kurzem mit ihrem Mann hier
gegessen.«
    »Ach, die. Und was hat sie gesagt?«
    »Sie hat gesagt, es sei nicht nur eine Frage von Medikamenten, sondern
auch von Experimentierfreude.«
    Leas Stimme klang wieder fest, doch sie war traurig, dass er von ihrer
Arbeit anfing, wo sie nun endlich seine Potenzprobleme
anzusprechen wagte. Sie fand es unanständig. Ein Sakrileg.
    Das Gesicht ihres Mannes erstarrte.
    »Besprichst du unser Sexualleben mit deinen Freundinnen? Willst du, dass
die Wähler über mein Sexualleben reden statt über meine Politik? Ich stehe im Licht
der Öffentlichkeit. Ich muss mein Privatleben schützen.
Was wir im Bett tun oder nicht, geht niemanden was an. Auch deine Freundinnen nicht.
Experimentierfreude, Experimentierfreude! Sex ist keine moderne Erfindung, es gibt ihn schon [159]  seit zigtausend Jahren, zu aller
Zufriedenheit. Man braucht daran nicht mehr herumzudoktern.«
    Ihr Mann starrte auf den Teller, auf dem sie die Forelle serviert hatte.
Er hatte die Stimme erhoben, beinahe geschrien.
    »Ich hab ganz allgemein mit Valeria darüber geredet. Ohne Namen zu nennen.«
    Jason

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