Mit Haut und Haaren
schnaubte. »Was soll das heißen, ohne Namen zu nennen? ›Mein Mann
kriegt keinen mehr hoch, aber ich sag nicht, wer es ist?‹ Wie viele Männer hast
du? Impotenz ist ein heikles Thema für einen Politiker. Du bringst es fertig, meine
politische Karriere zu ruinieren, nur weil ich dich nicht jeden Abend bespringe.
Vielleicht hat deine Mutter ja doch recht. Sie hat mich vor dir gewarnt. Vor unserer
Trauung hat sie zu mir gesagt: ›Jason, meine Tochter kennt keine Skrupel.‹ Damals
hab ich nur freundlich gelacht, aber sie hatte recht.«
»Denk an die Kinder!«, antwortete Lea. »Du redest so laut. Und nicht
jeden Abend, das verlange ich gar nicht von dir. Aber schon seit vier Monaten! Seit
über vier Monaten nicht. Fast fünf. Noch ein bisschen, und es ist ein halbes Jahr.«
»Führst du darüber Buch?« Er sah sie voll Abscheu an.
»Ich führe nicht Buch, ich hab ein Gedächtnis.«
»Vier Monate!« Er schüttelte den Kopf.
»Fast fünf!«
»Vielleicht liegt es an dir«, sagte er nachdenklich. »Daran, wie du mich
ansiehst – die Verachtung in deinem Blick würde jedem Mann den letzten Mut rauben.
Ich weiß, dass du mich nicht intelligent findest, dass
du auf mich [160] herabblickst, auf mich und alles, wofür ich stehe, aber die Wähler
von Brooklyn wissen, was sie tun, und die schauen nicht auf mich herab. Du kastrierst
mich mit deinem Blick. Wenn ich die Wähler nicht hätte, wäre mein Selbstvertrauen
schon ganz ruiniert.«
»Aber wie schaue ich denn?«, fragte sie.
Sie überlegte, ob sie ihn vielleicht wirklich liebevoller anschauen müsste.
Sie liebte ihren Mann, ganz bestimmt, doch den ganzen Tag lieb zu gucken, schaffte sie nicht. Auf jeden Fall wollte sie nicht mit ihm streiten,
sie wollte das Problem lösen.
»Kastrierend«, sagte ihr Mann. »Wie ich schon sagte. Du bist ein kastrierendes
Wesen.«
»Ich versuche grad, lieb zu gucken.«
»Das nennst du lieb? Du guckst wie ein Henker.«
Einen Moment lang wusste sie nicht, was sie antworten sollte. Sie starrte
auf ihre Fingernägel, die sie erst kürzlich anlässlich einer Hochzeit hatte maniküren
lassen. Vielleicht war die Starre im Gesicht ihres Mannes keine Wut, sondern Schmerz.
Ein Schmerz, den sie nicht begriff – sie hatte ihm doch
gar nichts getan? Ein Henker. Das Wort war gefallen, es war wie ein Peitschenhieb.
»Ich finde dich intelligent«, sagte sie. »Manchmal
bist du ein bisschen oberflächlich. Aber vielleicht ist
das unvermeidlich in deinem Beruf. Du liest weniger als früher, aber vielleicht
ist auch das unvermeidlich. Du hast dich verändert, aber auch das nehme ich dir
nicht übel.«
»Genau das meine ich«, sagte ihr Mann. »›Ein bisschen oberflächlich.‹ Das denkst du, wenn du mich siehst: Mein Mann ist
ein bisschen oberflächlich, aber das nehme ich [161] ihm
nicht übel. So krieg ich nie eine Erektion. Kein Mann würde eine Erektion kriegen,
wenn seine Frau ihn ›ein bisschen oberflächlich‹ findet. Ich hätte gern das Gefühl, dass ich was zustande bringe,
vor allem in meinem eigenen Bett. Mir ist die Idee wichtig, dass ich jemand bin.
Und weißt du, was das Verrückte ist? Meine Arbeit gibt mir das Gefühl, und meine Kinder auch, nur meine Frau weigert sich, es anzuerkennen.
Tut mir leid, dass ich dir das so unverblümt sagen muss, aber wo du aufkreuzt, sinkt
jede Erektion verschreckt in sich zusammen.«
Sie senkte den Blick auf ihren Teller, räumte ihn weg, wie auch den ihres
Mannes, brachte das Geschirr in die Küche und weinte, ohne recht zu wissen, warum.
Nicht, weil Jason gesagt hatte, dass jede Erektion vor ihr verschreckt in sich zusammensinke.
Das war es nicht, aber warum sie dann weinte, war ihr ein Rätsel. Vielleicht, weil
er das mit dem Henker gesagt hatte. Mit einem Geschirrtuch trocknete sie sich die
Tränen.
Was er auch gesagt hatte – egal, es war nicht schlimm; er würde sich
beruhigen. Es war ihm herausgerutscht, im Eifer des Gefechts. Sie durfte es sich
nicht so zu Herzen nehmen.
»Möchtest du Kaffee?«, rief sie aus der offenen Küche hinüber, nachdem sie in den Spiegel geschaut und
sich vergewissert hatte, dass an ihren Augen nichts mehr zu sehen war. »Oder lieber
Tee?«
Es kam keine Antwort. Sie ging an den Esstisch zurück und setzte sich
neben ihren Mann. Einen Moment lang blieben sie so sitzen. Schweigend. Der Servierteller
stand immer noch auf dem Tisch. Ohne ihren Mann anzusehen, [162] legte sie ihm die
Hand in den Schritt. Sie knetete und knetete. Doch keinerlei
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