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Mit Haut und Haaren

Mit Haut und Haaren

Titel: Mit Haut und Haaren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arnon Grünberg
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Regung. Sie warf ihm
einen kurzen Seitenblick zu. Er starrte immer noch vor sich hin, in Gedanken versunken,
nicht richtig entspannt, doch auch nicht mehr verkrampft.
    Sie kniete sich neben seinen Stuhl, öffnete
den Reißverschluss seiner Hose, holte sein schlaffes
Glied heraus und steckte es sich in den Mund. Das einzige männliche Geschlechtsteil,
das sie in all den Jahren ihrer Ehe berührt, das einzige, das sie von nahem gesehen
hatte, bis auf die paar Mal, als sie im Internet nach frauenfreundlichen Pornos
gesucht hatte.
    Lea merkte, dass ihr noch ein Mandelplättchen zwischen den Zähnen hing.
Mit der Zunge entfernte sie es und schluckte es hinunter. Dann begann sie, am Glied
ihres Mannes zu saugen, sie saugte und saugte, dachte an ihre Kinder, an die Universität,
wo sie ihren Mann kennengelernt hatte, an den Clown, an ihr Buch, ihre Freundinnen,
doch es regte sich nichts. Sie saugte fester, gab sich die größte Mühe. Sie hörte
nicht auf. Bis ihr Mann plötzlich rief: »Aua! Du tust mir weh.«
    Sie nahm das schlaffe Glied aus dem Mund.
    »Mit den Zähnen!«, sagte Jason. »Hast du niemals gelernt, dass man dabei
nicht die Zähne nehmen darf?«
    Er stand auf, stopfte sein Glied zurück in die Hose und brachte seine
Kleidung in Ordnung.
    Dann setzte er sich wieder.
    Sie stand neben ihm, wischte sich den Mund ab.
    »Möchtest du Tee oder Kaffee?«, wiederholte
sie ihre Frage vom Anfang.
    [163]  »Nein danke«, sagte er.
    Er nahm ihre Hand. »Es geht um Ava und Gabe«, sagte er leise. »Allein
schon ihnen zuliebe sollten wir darauf achtgeben, dass unsere Ehe intakt bleibt.
Ein bisschen weniger Sex ist nicht schlimm.«
    Im Bad hatte sie ihre Kontaktlinsen herausgenommen und ihre Brille aufgesetzt.
Dann hörte sie Ava schreien. Die Kleine hatte regelmäßig Alpträume.
    Während sie ihrem Mann gegenübersitzt, am Tisch mit der Flasche Wein
und dem Käseteller, muss sie an dieses Gespräch denken. Sie hat es probiert, doch
es hat nichts genutzt. Sie wird die Sache noch einmal ansprechen, sosehr es ihr
auch gegen den Strich geht. Wenn sie ihre Ehe retten will, bleibt ihr nichts anderes
übrig.
    »Ich hab in Frankfurt einen netten Wirtschaftswissenschaftler kennengelernt«, sagt sie. »Hab ich dir schon erzählt,
nicht wahr?«
    »Wo wohnt er?«, fragt ihr Mann.
    »In Fairfax, wenn ich mich nicht irre«, sagt sie.
    »Fairfax, sieh an, ist es dort auszuhalten?«, fragt ihr Mann. Er wartet
ihre Antwort nicht ab, sondern vertieft sich wieder in
seine Rede. Jetzt müsste sie etwas sagen, jetzt etwas tun. »Lass uns miteinander
schlafen«, müsste sie sagen, »es ist schon so lange her.« Und während er in sie
eindränge, würde sie an Sven Durano denken, den hochgewachsenen Schweizer, der sowohl
Wirtschaftswissenschaftler
als auch Historiker ist. Oder vielleicht doch lieber an Roland, sie fragt sich,
wie er wohl ohne Kleidung aussieht, ob er auch nackt die freundliche Distanz wahren
würde, [164]  hinter der sie eine negative Lebenseinstellung vermutet, bei der es sie
eiskalt anweht. Und trotzdem, so unlogisch es sich auch anhört, wo Eis ist, muss
es auch Feuer geben.
    »Fairfax«, sagt Jason Ranzenhofer. »Tja, da wohnen auch Menschen.« Er
wirft ihr einen kurzen Blick zu, in dem fast eine Art
Zärtlichkeit liegt.
    3
    Es ist ein warmer Abend für die Jahreszeit. Violet hatte schon
in der Jacke auf dem Bürgersteig gestanden, hat sie dann aber doch zu Hause gelassen.
    Jetzt sitzt sie auf der Terrasse von De Ijsbreker. Sie schlendert gern
abends durch die Stadt, gegen zehn Uhr, nach dem Essen. Manchmal nimmt sie ein Buch
mit und setzt sich in ein Lokal. Heute Abend hat sie sich im Ijsbreker mit Mirjam
verabredet. Sie hatte das Bedürfnis nach einem Gespräch. Auf Murakami konnte sie
sich nicht konzentrieren.
    Es gibt Tage, an denen Mirjam ihr auf die Nerven geht, weil sie so viel
redet. Heute Abend jedoch war das für sie eine beruhigende Aussicht. Ein Strom von
Worten, den auch das Schweigen des Gesprächspartners nicht zum Versiegen bringt.
Man wartet in aller Ruhe ab, bis man Gelegenheit bekommt, etwas zu sagen.
    Jeder zweite Tisch auf der Terrasse ist noch frei.
    Mirjam liest massenhaft Selbsthilfebücher.
Manchmal [165]  fragt Violet sich, wie eine studierte Frau nur solche Bücher lesen kann,
und dann noch in diesen Mengen, aber sie hat gemerkt, dass viele studierte Leute
das tun. Studieren reduziert das Bedürfnis nach Hilfe offenbar
nicht.
    Sie sieht, wie Mirjam angefahren kommt, und schaut zu, wie sie ihr

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