Mit Haut und Haaren
Erektionen an?«
Er hatte nicht geschrien, aber doch laut gesprochen, und sie hatte gesagt:
»Die Kinder, Jason! Sie schlafen endlich. Sprich nicht so laut.«
»Wie meinst du das?«, hatte er weitergefragt, jetzt etwas leiser. »Was
willst du damit sagen? Mit meinen Wählern?«
»Das war ein Witz«, begütigte sie. Beide tranken sie Tee. Sie hatte für
ihn gekocht, sich richtig ins Zeug gelegt. Forelle mit Mandeln. Das Rezept stammte
aus einem Kochbuch ihrer Großmutter. Es gab Weißwein dazu, den ein Verkäufer in
einem Weingeschäft ihr empfohlen hatte. Meist gab sie
sich nicht so viel Mühe, doch wo sie sich einmal entschlossen hatte, die Potenz
ihres Mannes zur Sprache zu bringen, schien es ihr eine gute Idee, ihn erst mit
einem leckeren Essen zu verwöhnen.
»Ich habe Bedürfnisse«, sagte sie und verbesserte sich sofort: »Auch
ich habe Bedürfnisse.«
Dieses Gespräch war ihr unangenehm, aber sie litt, sie konnte es nicht
länger leugnen, und es wurde immer [154] schlimmer. Lächerlich natürlich, fast sündig,
wegen so was zu leiden, und doch war es so.
»Ja«, sagte er. »Natürlich. Wir alle haben
Bedürfnisse.«
Der Teller, auf dem sie die Forelle mit Mandeln serviert hatte, stand
noch auf dem Tisch. Für die Kinder hatte sie Pasta gemacht, mit Olivenöl und Käse,
die Kinder aßen nichts lieber. Fisch mochten sie nicht. Fleisch eigentlich auch
nicht.
»Du wolltest zu einem Arzt gehen«, sagte sie. »Das hast du mir vor Monaten
versprochen.«
»Ich bin beim Arzt gewesen«, erwiderte Jason. Er sah sie mit festem Blick
an, wie wenn er bei einer Rede oder auf einer Beerdigung Ernst oder Schmerz zu mimen
versuchte. Er sagte ihr immer, dass er die auch wirklich empfinde, doch sie nahm es ihm nicht ab, hatte aber beschlossen,
sein Spiel für die Wahrheit zu nehmen. Vor allem, weil er selber gesagt hatte, dass
es der beste Beweis war, wenn die Wähler ihm glaubten. »Nur in Diktaturen wird am
gesunden Menschenverstand der Bürger gezweifelt«, hatte er erklärt. »In einer Demokratie
nicht. Was der Wähler glaubt, ist die Wahrheit.«
Mit einem Löffel fischte
sie ein paar Mandelplättchen vom Servierteller.
»Und was hat der Arzt gesagt?«
»Wenig. Er hat mir Tabletten verschrieben.«
»Und?« Sie sah ihn an. »Hast du die Tabletten genommen?«
»Die Tabletten wirken nicht«, sagte er leise. Er schaute sie hilflos
an, wie ein Kind, das befürchtet, etwas falsch gemacht zu haben.
[155] »Was soll das heißen, sie wirken nicht?« Sie legte den Löffel zurück auf den Teller.
»Wie ich es sage. Sie wirken nicht. Es passiert nichts. Sie scheinen
bei jedem zu wirken, nur nicht bei mir.«
Er sagte es mit Nachdruck, als halte er eine Rede.
Noch einmal nahm sie den Löffel und fischte die letzten Mandelplättchen vom Teller. Hunger hatte
sie keinen gehabt, die Hälfte ihrer Forelle hatte sie
liegen gelassen, doch die Mandeln schmeckten ihr.
»Vielleicht solltest du etwas andres probieren?«, schlug sie vor und
nahm noch einen Schluck Tee. »Vielleicht solltest du Pornos gucken.«
Es fiel ihr schwer, das Wort auszusprechen,
doch wo sie einmal dabei war, kam es darauf nicht mehr an.
»Mir ist dieses Gespräch unangenehm«, sagte ihr Mann. »Pornos? Ich bin
Bezirksbürgermeister von Brooklyn, was meinst du, was meine Wähler sagen würden,
wenn die dahinterkämen, dass ich mich an Pornographie vergreife? Stell dir nur die
Schlagzeilen vor. Nein, kommt nicht in die Tüte. Pornos, Lea! Ich meine, was denkst
du von mir? Und wie wäre das für die Kinder?«
»Aber es braucht doch niemand zu wissen«, antwortete Lea. »Deine Wähler
brauchen doch nicht alles auf die Nase gebunden zu kriegen? Und die Kinder auch
nicht. Es brauchen auch keine harten Pornos zu sein. Ein Magazin mit ein paar nackten
Frauen vielleicht. Softporno.«
»Softporno?«
Softporno schien ihn noch mehr zu beleidigen
als die härteren Varianten.
»Ich versuche nur mitzudenken, das ist alles.«
[156] »Mitdenken? Lea, ich weiß besser als du, was an die Öffentlichkeit durchsickern kann, bei den Überwachungskameras
überall, wir werden Tag und Nacht beobachtet, wenn die Regierung will, kann sie
fast alles über uns erfahren, auch was wir in unserem Schlafzimmer tun, und das
ist auch gut so. Sonst müssten die Guten für die Schlechten büßen. Wir müssen die
Spreu vom Weizen trennen. Aber es geht mir gar nicht in erster Linie um die Regierung.
Ich finde es eine geschmacklose Vorstellung, mir irgendwo
Pornos anzugucken, wo Ava
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