Mit Herrn Lämmlein ist was los
Zeitung:
„Wickelkind
gefunden.
Abzuholen
bei Lämmlein.“
Es meldete sich jedoch niemand.
Da beschloß Herr Lämmlein, den Findling
zu behalten. Es war übrigens ein Bub, und er nannte ihn Theo.
Herr Lämmlein überwindet
sich
Theo wuchs und wuchs. Wenn Herr
Lämmlein das nicht sowieso bemerkt hätte, aus den Zetteln von Fanny hätte er es
erfahren können.
Da stand:
„Theo
braucht Strampelhosen.“
„Waschkorb
zu klein für Theo, Kinderbett kaufen.“
„Cordsamthosen
besorgen, möglichst blau (zu Theos blondem Haar).“
„Theo
kriecht, braucht dringend Laufstall.“
All diese Anschaffungen machte Herr
Lämmlein ganz richtig, ohne durch Wände zu gehen. Herr Lämmlein war nicht
reich, aber er war glücklich mit Theo. Und es machte ihm nichts aus, daß er
sich nun keine Briefmarken mehr für seine Sammlung kaufen konnte, weil am
Monatsende immer alles Geld aufgebraucht war.
Wie gesagt, Herr Lämmlein war sehr froh
über Theo — aber ob Theo auch so froh war, bei Herrn Lämmlein zu sein? Der
kleine Bursche war nämlich zu oft allein, und Herr Lämmlein war ein
unbeholfener Junggeselle, der nicht viel anfangen konnte mit Kindern. Und Theo
hatte keine Unterhaltung davon, wenn Herr Lämmlein nur still für sich froh war.
Eines Tages fand Herr Lämmlein einen
Zettel von Fanny, der ihm Kopfzerbrechen machte:
„Theo langweilt sich. Sie müssen mit
ihm spielen!“
Fanny hatte gut reden, sie war eine
Frau. Frauen brauchten nur ein honigsüßes Gesicht zu machen und mit ganz hoher
Stimme „hei di di “ zu sagen — und schon quietschten
die kleinen Kinder vor Vergnügen. Aber konnte er, Lämmlein, mit seinem
schwarzen Bärtchen, ein honigsüßes Gesicht machen und mit zärtlicher Stimme „hei
di di “ flöten?
Andererseits: Theo genügte es nicht
mehr, nur versorgt zu werden. Er wollte nicht nur essen und trinken, er wollte
Unterhaltung. Das sah Herr Lämmlein ein. Und er sah auch ein, daß er sich die
Sache mit Theo zu einfach vorgestellt hatte. Aber nun war der Junge schon mal
da, und jetzt mußte Herr Lämmlein durchhalten. Und wenn es nötig war, mußte er
auch mit Theo spielen.
Theo stand in seinen Cordsamthosen im
Laufstall und streckte Herrn Lämmlein erwartungsvoll die Ärmchen entgegen.
Herr Lämmlein verzog sein Gesicht zu
einer süßsaueren Grimasse, räusperte seine Kehle frei und rief, so hoch er konnte,
„hei di di !“
Theo machte große, runde Augen vor
Erstaunen. So albern hatte er seinen Pflegevater noch nie gesehen. Als Herr
Lämmlein jedoch die Vorstellung wiederholte, wurde Theo wütend. Er stampfte mit
den Füßen und bekam ein krebsrotes Gesicht vor Zorn.
So ging es also nicht. Herr Lämmlein
begriff, daß Theo etwas anderes von ihm erwartete. Er ließ seine Taschenuhr vor
ihm hin- und herpendeln, er pfiff „Fuchs, du hast die Gans gestohlen“, er
setzte sich den Kaffeewärmer auf den Kopf — aber Theo lachte nicht. Er stand
trotzig da und schaute seinen Pflegevater verachtungsvoll an.
Herr Lämmlein war ehrlich betrübt. Er
hatte seine ganze Phantasie aufgeboten, um Theo zu vergnügen, aber er hatte nur
erreicht, daß Theo von ihm enttäuscht war. Väter dürfen ihre Söhne aber nie
enttäuschen. Väter müssen immer außergewöhnliche Dinge tun, damit die Söhne
stolz sein können auf ihre Väter.
Herr Lämmlein reckte seinen
schmächtigen Körper.
„Theo“, sprach er mit fester Stimme, so
wie man von Mann zu Mann spricht. „Theo, Du sollst sehen, was Dein Vater kann!“
Dann streckte er die Arme vor,
schnellte sich ab und setzte im Hechtsprung wie vom Zehnmeterbrett durch die
Wand ins Badezimmer. Dort lauschte er gespannt, was Theo sagen würde.
„ Uuiih !“ rief
Theo entzückt.
Da kam Lämmlein wieder durch die Wand
zum Vorschein. Theo klatschte in die Hände und schrie: „Noch, noch!“
Und Herr Lämmlein hatte plötzlich viele
Einfälle. Er ließ sich durch die Wand plumpsen wie ein Mehlsack. Er war ein
Tiger, der auf leisen Sohlen in der Blumentapete wie im Dschungel verschwand.
Er steckte vom Schlafzimmer aus seine beiden Hände durch die Mauer und spielte
damit Kasperltheater. Dann wieder ließ er nur gerade die
Nasenspitze aus der Wand schauen und
schnüffelte wie ein Ameisenbär. Vom Bad aus blies er mit einem Röhrchen
Seifenblasen ins Zimmer. Bis sie alle beide müde wurden.
Von diesem Tag an gab es einen Menschen
— wenn auch einen sehr kleinen — der Herrn Lämmlein bewunderte. Und das war
Herrn Lämmlein noch nie zuvor in
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