Mit Herz und High Heels - Clark, B: Mit Herz und High Heels - The Overnight Socialite
sein.
Gerade, wenn ich glaube, dass wir Fortschritte machen, trifft mich eine von L.s unbedachten Äußerungen oder Taten wie ein Blitz aus heiterem Himmel, oder sie verblüfft
mich mit ihrem Mangel an kultureller Allgemeinbildung. Gestern Abend fragte sie mich allen Ernstes, ob ein Baiser ein Teil des Badezimmers sei.
Es gab keine andere Erklärung als die naheliegende: Wyatt beabsichtigte, ein Buch über ihr gemeinsames Experiment zu veröffentlichen. Lange ehe Cornelia den Namen Rita Ellis gehört hatte, hatte Wyatt bereits vorgehabt, sie vor der ganzen Welt als Hochstaplerin bloßzustellen. Ganz außer sich blätterte sie den Rest des Manuskripts durch, konnte aber durch den Tränenschleier kaum etwas erkennen. Noch nie war sie sich so verraten und verkauft vorgekommen. Für ihn war sie nichts weiter als ein dressierter Hund. Ein Mädchen, das er aus der Masse herausgepickt und als Frau mit Klasse ausgegeben hatte. Nein, noch schlimmer – einen dressierten Hund würde man nicht dem öffentlichen Gespött preisgeben. Wyatt liebte sie nicht – da stand es schwarz auf weiß, unmöglich, davor die Augen zu verschließen -, er fand nichts an ihr »bemerkenswert« oder »besonders«. Für ihn war das Ganze bloß eine wissenschaftliche Spielerei. Nur ein Thema für ein Buch. Wyatt hatte vor, sie derart zu blamieren, dass es ihr auch den letzten Rest Würde rauben und ihre Karriere vernichten würde. Offenkundig gab er keinen Pfifferling auf ihre Gefühle. Er war schlimmer als Cornelia – zumindest hatte Cornelia sich nicht als ihre Freundin ausgegeben.
»Lucy!« Sie hatte ihn gar nicht kommen gehört, und als sie aufschaute, stand Wyatt – unrasiert in einem alten Pulli – in der Tür. »Hier bist du! Ich habe dich schon überall gesucht, bei Eloise, im Carlyle …« Er unterbrach sich, als sein Blick auf das Manuskript fiel und er dann ihr Gesicht sah. Mit dem Handrücken wischte Lucy sich die Tränen von den
Wangen, packte den Papierstapel und stürmte zur Tür. Beunruhigt trat Wyatt einen Schritt zurück.
Mit voller Wucht warf sie ihm das Manuskript an den Kopf. Die Blätter stoben über seine Schultern.
»Ich kann dir das erklären…«, setzte er an, in den abgedroschenen Worten aller Männer, die ganz großen Mist gebaut haben.
»Wie kannst du es wagen?« Wutentbrannt trat sie auf ihn zu und stellte sich auf die Zehenspitzen, bis sie nur noch wenige Zentimeter von seinem Gesicht entfernt war. Sie zitterte am ganzen Leib vor Wut. Er starrte sie an wie das Kaninchen die Schlange und traute sich nicht, den Mund aufzumachen. »Du solltest lieber mal dein eigenes verkorkstes Leben auf die Reihe kriegen und die Finger von meinem lassen!« Und damit stürzte Lucy zum Aufzug und hämmerte auf die kleinen Knöpfe. Sie hörte, wie Wyatt ihr hinterherkam und nach ihr rief. Die Tür des Fahrstuhls öffnete sich, und sie hastete hinein, als er gerade am Treppenabsatz auftauchte. »Vielleicht bin ich als Kind nicht beinahe an meinem goldenen Löffel erstickt, aber ich weiß, was richtig ist und was falsch. Nie, niemals würde ich so tief sinken.« Und dann schlossen sich die Aufzugtüren vor seinem perplexen Gesicht, als er noch irgendetwas stammelte.
Während der Lift sie die neun Stockwerke nach unten in die Lobby brachte, musste Lucy sich zusammenreißen, um nicht einfach in Tränen aufgelöst zu einem kleinen Häufchen Elend am Boden zusammenzusinken. Monatelang hatte sie Wyatts ständige Kritik ertragen, und wofür? Um sich so benutzen zu lassen – um nicht nur ihre Träume, sondern auch ihr Vertrauen restlos zu zerschmettern?
»Ist alles in Ordnung, Miss Lucy?«, fragte Howard, der Portier, und schaute ihr besorgt hinterher, als sie unsicher
durch die Lobby tappte. »Nicht so richtig«, antwortete sie, schüttelte aber den Kopf, als er sich erkundigte, ob er ihr helfen könne.
Draußen angekommen atmete sie tief ein. Der erste Hauch des Frühlings lag schon in der Luft, obwohl die Krokusse auf dem Mittelstreifen der Park Avenue die Köpfchen noch nicht hinausstreckten und man noch einen Mantel brauchte. Verzweifelt versuchte sie, einen klaren Kopf zu behalten. Der Himmel half ihr mit seinem unerhörten Blau; einer der Nachbarn hatte feuerrote Geranien in seine Blumenkästen am Fenster gepflanzt. Wyatt hat die Stadt nicht gepachtet , schoss es ihr da durch den Kopf. Wyatt hat die Taxis nicht gepachtet, die gegen den Strom schwimmen wie leuchtend gelbe Fische, oder den Geruch gerösteter Maronen. Er hat die
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