Mit Herz und High Heels - Clark, B: Mit Herz und High Heels - The Overnight Socialite
und schob die Tür zu seinem Arbeitszimmer einen winzigen Spaltbreit auf. Seit sie ihn kannte, vergrub er sich jeden Sonntagmorgen mit der Times und einem Kaffee im Arbeitszimmer. Das war immer einer der seltenen Momente in der Woche gewesen, in denen sie Zeit für sich gehabt hatte, als sie noch rund um die Uhr Wyatts Society-Versuchskaninchen gespielt hatte. Aber andererseits war das ja auch alles andere als ein ganz gewöhnlicher Sonntag. Sie ging nicht gleich auf der Stelle wieder nach draußen. Sein Arbeitszimmer, gänzlich verschont vom kitschig-überladenen Einrichtungsstil des Innenarchitekten, erinnerte sie an die vielen Abende, die sie hier unter seinen kritischen Blicken zugebracht und ihr Bestes gegeben hatte, ihm zu gefallen, sich in jene feine Dame zu verwandeln, auf die er gewettet hatte. Die vielen Übungsstunden – Aussprache, Etikette, Kunstgeschichte, Geografie für Jetsetter; die vielen Abende, die sie Backgammon gespielt und sich was beim Chinesen bestellt hatten. Lucy mochte die deckenhohen Bücherregale ringsum, in denen sich die dicken alten Bände drängten; den Geruch von altem Leder; die unbequem hart gepolsterte Couch; selbst den uralten Orientteppich, der an einigen Stellen schon ganz abgewetzt war von Wyatts unablässigem Auf- und Ablaufen.
Ich war so dicht dran , dachte sie plötzlich mit einem bitteren Geschmack im Mund. Margaux Irving wollte mein Kleid. Wyatt wollte mich. Mit einem Kloß im Hals betrachtete sie die Fotos, die an den Wänden hingen. Da der kleine Wyatt auf seinem Pferd… auf seinem Segelboot … auf den Schultern seines aristokratisch eleganten, gut aussehenden, verstorbenen Vaters. Wyatt mit seiner Regattacrew vor seiner ersten Head of Charles , die Arme um den Hals zweier Teamkollegen geschlungen. Der Gesamteindruck der kleinen Kollektion wirkte schon fast absurd egozentrisch, aber irgendwie verriet das alles eine Menge darüber, wie fixiert Wyatt auf seine gesellschaftliche Stellung war. Es schien beinahe, als wisse er ohne seine ausgefallenen Hobbys, seine berühmten Freunde, die fantastische Szenerie gar nicht, wer er eigentlich war. Sie schaute sich das grobkörnige Babyfoto von Wyatt an, der bei Nixon auf dem Knie geschaukelt wurde, und den Schnappschuss vom Polospiel in Argentinien. Ich könnte ihm helfen rauszufinden, wer er wirklich ist. Zum ersten Mal, seit Cornelia ihr mit der Enthüllungsgeschichte im Townhouse gedroht hatte, sorgte Lucy sich nicht mehr darum, welche Konsequenzen die Sache für Wyatt haben könnte. Womöglich wäre eine kleine gesellschaftliche Bauchlandung genau der Tritt in den Allerwertesten, den er brauchte, um endlich sein eigenes Leben zu leben.
Völlig unbeabsichtigt hatte sie einen kleinen Rundgang durch Wyatts Arbeitszimmer gemacht. Auf dem Schreibtisch, gleich neben der Tiffanylampe, stand ein kleiner goldener Bilderrahmen. Lucy beugte sich hinunter, um ihn genauer in Augenschein zu nehmen. Zu ihrem Erstaunen war darin ein Foto von ihr, aufgenommen an dem Wochenende in Palm Beach im Haus seiner Mutter. Ganz entspannt saß
sie am Pool, schaute geradewegs in die Kamera und lachte aus ganzem Herzen, und sie sah ganz natürlich aus – sie posierte nicht, wirkte nicht perfekt, war kein It-Girl im hübschen Kleidchen, sondern einfach nur sie selbst. Sie hatte ganz vergessen, dass er sie geknipst hatte. Allein dass dieses Bild hier war, ganz zu schweigen davon, dass es an einem so intimen Ort stand, an dem nur Wyatt es sehen konnte, nahm ihr im ersten Moment fast den Atem.
Dann fiel ihr Blick auf einen dicken Papierstapel auf Wyatts antikem Schreibtisch. Mit Herz und High Heels stand in fetten Lettern auf der ersten Seite, darunter Wyatts Name. Hatte er etwa ein Buch geschrieben? Seit sie ihn kannte, hatte er hart an einem geheimnisvollen Projekt gearbeitet, über das er nicht reden wollte. Der Titel schürte Neugier und Angst zugleich. Lucy konnte sich nicht beherrschen, drehte das Deckblatt um und fing an zu lesen:
Das Mädchen unter der Marquise hatte so gar nichts Besonderes an sich – weder Schönheit oder Bildung noch Elternhaus oder Beruf zeichneten sie aus. Um ehrlich zu sein, wählte ich L. gerade deshalb als Gegenstand meines Experiments, weil sie so vollkommen unauffällig war – ein namenloses Allerweltsgesicht, ein Mädchen unter vielen, die aus der Provinz nach New York ziehen, den Kopf voller unrealistischer Flausen.
Lucy wurde ganz flau. Schnell überschlug sie die Seite … Das konnte einfach nicht wahr
Weitere Kostenlose Bücher