Mit Jockl nach Santiago
entlassen uns Hans und Inge aus ihrer Umsorgung, mit der nochmaligen Beteuerung, das Abschleppfahrzeug stehe immer bereit, egal wo und aus welchem Loch sie uns bergen müssten. In meinem Fall sehr beruhigend zu wissen, denn Gräben ziehen mich magisch an, mitunter auch hinein. Aber ich denke, Wolfgang wird schon ein Auge auf meine Fahrkünste werfen und korrigierend ins Lenkrad greifen, wenn ich mich gar nicht mehr vom Mittelstreifen trennen kann, sich Getreideähren zwischen die Schnürsenkel zu schieben oder auffallend viele Fichtennadeln unser windzerzaustes Haar zu schmücken beginnen. Bis unter die Nasen mit Einwegkameras bewaffnet, die uns Inge für unterwegs noch unterjubelt, damit wir sie mit Bilddokumenten über unsere fortschreitende Verwahrlosung auf dem laufenden halten, brechen wir auf und rattern buchstäblich in die Welt eines sonnigen, sommerwarmen Tages hinaus. In Markt Schwaben bremsen wir unseren Überland- Schwung, um dort einzukaufen und uns in einem gemütlichen Gastgarten für die bevorstehende München-Durchquerung zu stärken. Um die werden wir kaum herumkommen, da wir die Strecke nach Frankreich so umweglos und schnell wie möglich absolvieren wollen, quasi als Anreise oder Zubringer zum Start unserer eigentlichen Rundfahrt, die im Elsass beginnen soll. Wider Erwarten klappt die Navigation durch den Großstadt-Dschungel bestens; nur die Kanaldeckel werden meine Bandscheiben nicht so schnell vergessen und die gelegentliche Bekanntschaft mit
Randsteinen, die aus abkürzungs- und ausweichtechnischen Gründen bewältigt werden müssen und dabei mein Gehirn zu leichtem Mus und meine bislang quälenden Gedanken über die Haltbarkeit der Kiste aus dem Kopf schlagen. Trotzdem halten wir drei - »da Großknecht, die Mittadirn und da Pfluagox« - uns prächtig.
Ab Weßling zwingen uns Umleitungen, mehrmals die Autobahn zu kreuzen, und so nähern wir uns in wahrem Zeitlupentempo unserem Tagesziel: Landsberg am Lech. Erkenntnis des Tages: Die Geraden gehören den Flitzern, die umständlichen Windungen den Schnecken. Und dann meint der Campwart noch verdrießlich: »Ach du meine Güte, ein Traktor!«, als wir mit unserem Jockl bei der Rezeption vorstellig werden. Jetzt heißt es größtmögliche Seriosität zu mimen, denn der Blick, mit dem ich gemustert werde, als ich die Campingkarte vorlege, behagt mir nicht recht. Ich sehe schon, den Jockl als selbstverständliches Reisemobil zu kredenzen, muß mir erst in Fleisch und Blut übergehen. »Ein Traktor?!« wiederholt der Herr bei der Anmeldung mit einer fragenden Feststellung, die alles offen- bzw. zuläßt, einschließlich der Bekanntgabe, daß der Campingplatz wegen Überfüllung geschlossen sei. Zu lügen würde in diesem Fall wohl nichts bringen, also bestätige ich, dessen der Herr seinen eigenen Augen nicht so recht traut. Unschlüssig kratzt er sich am Kinn und läßt mich nicht schlau werden, ob wir nun in sein Gästekonzept passen oder nicht. Schließlich hebt sich aber die Schranke, und wir rollen auf das Gelände zur ersten unserer weit über hundert nachfolgenden Campingnächte.
Das Abendpicknick schmeckt uns verdammt gut; den Stechmücken mundet unser Blut, und Jockl rastet, noch Motorwärme von sich gebend, neben unserem Zelt. Alle sind zufrieden und rechtschaffen müde, was nicht heißt, daß wir schlummern wie die Murmeltiere. Nachwirkungen vergangener Chaos-Tage wühlen nach wie vor unser Innenleben zu Ruhelosigkeit auf, obwohl die fleischliche Hülle längst schachmatt darniederliegt.
War auch die Nacht eine schlechte, das Wetter sieht trotz einigem aus dem Westen heranschiebendem Gewölk so übel nicht aus. Landsberg schläft noch, als wir durch die nahezu menschenleeren Gassen über das Pflaster rattern, die stolzen Stadthäuser mit ihren dekorativen Fassaden hinter uns lassen und wieder unsere Grundrichtung einschlagen - auf kürzestem Weg nach Frankreich.
Zunächst dürfte sich unser Jockl allerdings noch recht heimisch fühlen, als wir abseits der E54 auf schmalen Landstraßen zwischen Wiesen und Feldern den Pfingstsonntagsfrieden durchpflügen. Da und dort stimmen zwar ein »Lanz« oder ein verwandter »Eicher« mit unserem Jockl einen Motorkanon an, doch ansonsten herrscht außer wohlig wummerndem Bienengesumm in Bäumen und Obstgärten paradiesische Stille, wenn wir für eine Pause den Motor abstellen und in die Heustadlbeschaulichkeit um Irpisdorf, Großried und Lauchdorf schauen und dabei jede markante Veränderung im
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