Mit Jockl nach Santiago
Landschaftsbild als willkommene Bestätigung werten, daß es vor- Warts geht. Jeder Meter bringt uns weg von dort, wo nach wie vor das Flucht-Chaos brütet und weiter hinaus in die Fremde. Eine Fremde, die nun mit Sicherheit niemand mehr als solche benennen wird, liegen doch Länder wie Frankreich und Spanien sozusagen vor unserer Haustüre und lassen sich mittels Jet und Auto in Kürze über- bzw. durchqueren. Nur wird dort der exotikheischende Globetrotter und Abenteurer des 20. Jahrhunderts auf touristischen Trampelpfaden kaum mehr das entdecken, wonach es ihn dürstet. Dabei gibt es ja bekanntlich im trauten Ländle oft mehr Echtes und Urigeres zu finden, als jede abgetakelte Hula-Show mit aufgetakelten China-Beauties bieten kann. Da wäre zum Beispiel Hermann Stammel aus Schlingen, ein rüstiger Austragbauer, mit dem wir zufällig an diesem Tag vor der Dorfkirche zusammentreffen, als er sein Fahrrad, dem er trotz seines Alters noch recht wacker in die Pedale tritt, neben uns zum Stehen bringt. Sein Interesse für Jockl und unser Unternehmen steht ihm ins runzelige Gesicht geschrieben, und nach kurzem Geplänkel lädt er uns ein, doch seinen Schützling, einen 15er-Eicher, kennenzulernen. Dazu folgen wir ihm einige Ecken weiter bis in den Hof seines Anwesens, wo das alte Vehikel wie ein vergessener Veteran, ein museales Relikt in der Garage steht. Nicht mehr lange - mit bedachten Bewegungen erklimmt Bauer Stammel das greise Gefährt, startet den Motor und präsentiert uns mit sichtbarem Stolz seinen langjährigen Arbeitspartner, indem er ihn in die Hofmitte lenkt, direkt neben Jockl. »Jo mei, wos dea gschundn woarn is, na-na-na-na! Und ea wiad länga lebm ois i!« kommentiert er unseren Rundgang um den Traktor und tätschelt ihm mit seiner schleifpapierrauhen Handfläche die abgewitterte Motorhaube. An Mensch und Maschine lassen sich die Spuren eines arbeitsreichen Lebens ablesen, doch beide wirken erstaunlich kräftig und kernig in ihrer Unverfälschtheit zwischen all dem landwirtschaftlichen High-Tech inklusive Genmanipuliertem, Geklöntem, Pseudo- Biologischem, Monokulturen, Milchüberschüssen und Butterbergen. Diesem selten einmaligen Gespann begegnet zu sein, gehört zu jenen Erlebnissen, die Gott sei Dank noch kein Reiseunternehmen im Sightseeingprogramm führt. Der 15er-Eicher tuckert noch immer seinen ureigenen Rhythmus, und alles an ihm scheint in ständiger Bewegung und zittriger Aufruhr, als sich Bauer Stammel mit Handschlag von uns verabschiedet, wir zum Hoftor hinausrollen und draußen nach einem Wegweiser für unsere Weiterfahrt fahnden.
Inzwischen beginnt das Wetter andere Seiten aufzuziehen, schickt Wind über die Wiesen und frischt die Temperaturen dermaßen auf, daß wir nach einer Sandwichpause neben einem Heustadl unsere Windjacken auspacken.
Südöstlich von Memmingen liegt Ottobeuren am Weg, und es wäre eine Kultursünde, daran vorbeizufahren, ohne dem Benediktinerkloster einen Besuch abzustatten. Trotz der Zielstrebigkeit, die unseren Deutschland-Transit kennzeichnet, dürfen gewisse Schmuckstückchen nicht unbeachtet bleiben. Ottobeuren erweist sich darüber hinaus auch als endgültige Wetterwende. Es beginnt zu regnen, und auch ein längeres Verweilen in einer Eisdiele, wo wir uns mit Cappuccino und Apfelkuchen verwöhnen, ändert nichts an der Tatsache, daß wir doch noch unsere Regenmonturen plus Gummistiefel aus der Kiste kramen müssen. Und jetzt bewahrheiten sich auch die Prognosen all unserer Förderer eines schlechten Gewissens: »Es kennts doch net ohne Doch foarn; do weads jo waschlnoß, wenns schitt!« Tatsächlich - so ist es, wir glauben es kaum. Noch nie trafen Prophezeiungen so prompt und tropfengenau ein wie in diesem Fall. Als bereits leicht getaufte Mäuse nehmen wir unsere Plätze auf dem Jockl ein, und weiter geht es im Schnatterduett nach Wolfertschwenden. Indem wir den südlichen Stadtrand von Memming zu meiden suchen, irren wir im Landstraßen- und Wegegeflecht zwischen Woringen, Kronburg und Aichstetten herum. Längstens leiden wir unter Kälte und Nässe, und ein warmes Stübchen wäre gefragt. - Ein warmes Stübchen! Wir herrlich ahnungslosen Rotkäppchen wissen nicht, was uns in dieser Hinsicht noch alles blühen wird. - In Aichstetten bleiben für uns zwei angefeuchtete Traktoristen die Herbergen jedenfalls verschlossen. Entweder bieten wir aufgrund unserer gummistiefeliger Regenvermummung nicht die türöffnenden Vorraussetzungen potentieller Zimmernehmer
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