Mit Jockl nach Santiago
Ufer und ein Kunterbunt an Booten auf dem Fluß sprechen für die Bekanntheit und Beliebtheit des Tales bzw. des Naturparkes und mit Sicherheit machen wir auf dieser Strecke mehr Stopps als Kilometer, um uns mit herrlichster Natur aufzutanken. Müdigkeit und Schwere fallen in dem Augenblick von mir ab als sich meine Blicke förmlich ins Wasser stürzen und mir auch ohne dessen Berührung ein Labsal vermitteln, das mir all die Stunden zuvor kein Schatten zu geben imstande war.
Hinter der Ortschaft Llorenç weichen die Felsen allmählich zurück und das Tal öffnet sich wieder zu einer baumlosen Ebene. Doch soweit hinaus führt unsere Fahrt nicht. Noch im Schutze der Felsen peilen wir den bereits erwähnten Campingplatz an. Dort erzeugt unser Auftauchen bei einer Reihe von Leuten sprachlose Überraschtheit, daß wir im ersten Augenblick schon ein Donnerwetter samt Platzverweis befürchten. Weit gefehlt, denn dieses Staunen war nur ein Sammeln und Luftholen zu einem der überschwenglichsten Empfänge unserer gesamten Reise. Du meine Güte, wir werden begrüßt und abgeklopft wie heimgekehrte Söhne und nachdem die Stichworte »Camino« und »Santiago de Compostela« wie Sesam-öffne-dich-Losungsworte gefallen sind, geleitet man uns neben dem Jockl einhergehend wie Helden auf einem Prozessionswagen zu unserem zugeteilten Zeltplatz. Einfach verrückt!
Nicht weniger verrückt gebärdet sich ein schon lange in den Startlöchern grummelndes Gewitter und wütet schließlich den ganzen Abend bis in die Nacht mit wildem Gekrache, ohrenbetäubendem Geschnalze und einem Blendwerk an Blitzen. Endlich ergießt sich auch köstliches Naß über uns und reinigt die Luft von Schwüle, Staub und bissigen Moskitos.
Unsere Verabschiedung am Morgen artet in ein kleines gesellschaftliches Ereignis aus. Ein kleines Häufchen Leute aus Personal und Gästen hat sich an der Rezeption eingefunden, als uns der Campingboß als Erinnerung an unseren Aufenthalt Aschenbecher und T-Shirt mit den aufgedruckten Emblemen des Campingplatzes überreicht, darüber hinaus weist unsere Rechnung ein Minus um Jockls Standgebühr auf. Wir bedanken uns überschwenglich für die erwiesene Großzügigkeit, und dann nimmt die anwesende Versammlung tatsächlich zum Händeschütteln und Winken Aufstellung, als ob wir zu unserer Jungfernfahrt aufbrechen würden. Unter all dieser Aufmerksamkeit und guten Wünschen laufen wir mit Gehupe und einer rausgeschleuderten stattlichen Rauchwolke aus.
Im Blau des stillen Flusses spiegelt sich ein makelloser Himmel und die Felsen ringsum strahlen, als hätten ihnen die Kletterer über Nacht einen neuen Anstrich verpaßt. Noch langsamer als gestern kommen wir vom Fleck und finden alle fünfzig Meter einen Grund zum Stehenbleiben. In Camarasa halten wir uns deshalb nicht weiter auf, sondern folgen ungebremst der Straße durch die kurze Segre-Schlucht. Zwischen ihren Felswänden windet sich im Schatten der Tiefe das dunkeltürkise Band des Río Segre. Noch liegt die Schlucht in wohltuender Kellerkühle der vergangenen Nacht und Felswände, Abbrüche und Aushöhlungen wirken in ihrem farblosen Schattendasein wie eine Zufahrt in die Unterwelt, in unserem Fall die Zufahrt zu einem grobbehauenen Tunnel. Dahinter mündet der Río Noguera in den Río Segre, doch unsere ganze Begeisterung gehört an dieser Stelle einer verwegen in die Schlucht gesetzten Kraftwerksanlage sowie dem Damm, der den Río Noguera zum Panta de Camarasa staut. Nur halbe Blicke auf die Straße gerichtet, überqueren wir den Panta (katalanisch: Stausee), der hier eher an einen breiten, trägen Strom als an einen See erinnert und gelangen nach einem zweiten Tunnel hinaus in eine weite sonnenhelle Gebirgslandschaft, die uns schier die Augen übergehen läßt. Ein Bild zum Jodeln, ein wahrgewordener Traum, in dem der Camarasa-See in allen erdenklichen Schattierungen zwischen Dunkelgrün, Türkis, Dunkelblau und Grauviolett das aufgewühlte Felsmeer wie eine kalte Grundströmung durchfließt. Rotbraune Felsabbrüche reichen bis an seine Ufer heran, die spärliche Sträucher begrünen, an manchen Stellen unterbrochen von übereinandergelagerten, verschiedenfarbigen Gesteinsschichten. Die Straße klettert in Kehren und Kurven zu tollen Aussichtspunkten; von dort sausen wir hinunter und hinein in die nächste Kurve und wieder hinauf, wie auf einer Berg- und Talbahn. Die großzügige Weite der Gebirgslandschaft berauscht förmlich, ganz besonders aber immer wieder der
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