Mit Jockl nach Santiago
mich schon ermüdete, als ich am Morgen aus dem Zelt sah. Allmählich beginnen meine Sinne abzustumpfen, und was mich noch vor Tagen begeistern konnte, nehme ich jetzt nur mehr am Rande wahr. Dieses Land hat mich überschwemmt mit seiner unendlichen Felder-Monotonie und seiner ewigen Hügel-Gestrüpp-Kargheit. Und wirkte diese Szenerie zuvor noch beruhigend und ließ die Psyche in vermeintlicher Freiheit aufatmen, so passiert jetzt das genaue Gegenteil: ich fühle mich ihr ausgeliefert, und wenn nach Hunderten von Kilometern immer wieder die selben »Mugln« am Horizont auftauchen wie schon Tage zuvor, dann hätte ich gute Lust nur mehr bei Finsternis unterwegs zu sein. Diese einseitigen, negativ gefärbten Eindrücke verfälschen natürlich das wahre Bild, verzerren es zu einer Unattraktivität, die nicht ganz der Wirklichkeit entspricht. Nach wie vor lernen wir hübsche, originelle Orte kennen wie zum Beispiel Tamarite de Litera mit seinem eigenwilligen Kirchenkomplex, darinnen buntbemalte Gruppen lebensgroßer Passionsfiguren auf die alljährliche Karfreitagsprozession warten; oder die Dörfer Albelda, Alfarrás und Algerri, ihnen allen haftet eine Verlockung zu Entdeckungen an.
Aber es nützt alles nichts, ich bin unsagbar müde und werde es um so mehr, nachdem zu mittäglicher Stunde in der Ortschaft Castelló de Farfanya die schwachsinnige Idee eines kleinen Aufstiegs zur Kirche Santa Maria von uns Besitz ergriffen hat- Das feudal erscheinende Bauwerk thront auf einem Fels über dem Ort und verführt mit seiner herrlichen Lage wie die Lorelei über dem Rhein. Der magere Lohn der Keucherei ist viel Verfall, Aasgestank, dorniges Geranke und das unbeschreibliche Körperfeeling weichgedünsteter Äpfel. »A so a Schmoan, grei ma do bei dera Hitz aufi. Mia spinnan vei scho recht!« Das bestätigen auch die Blicke einiger Bewohner, als wir von unserem hirnrissigen Kulturtrip wieder in den Schatten der Häuser eintauchen. Und noch einmal: ich bin redlich müde! Müde aller Burgen und Kirchen; müde aller leeren Dörfer und wie festgeklebt herumsitzender Männer; müde aller gelben Grashalme, staubtrockenen Erde und büscheligem Zeugs auf hellgrauem Schotter; müde aller Milchkaffees, Mineralwässer und sonstigem Fruchtgesöff. Nur ein Flug in die Arktis oder in die grünen Täler Wales könnte meine momentane, zusehends abrutschende Stimmung wieder heben.
Die Erlösung von diesem allgemeinen Überdruß naht schneller als gedacht nach einem Aufenthalt in Balaguer, der ersten größeren Stadt auf unserem Weg durch die katalanische Provinz Lleida. Hier überqueren wir für unsere Weiterfahrt den Río Segre hinüber zur Neustadt und biegen dort in nördliche Richtung auf die C147 nach Camarasa ab. Dieser kategorische Richtungswechsel hat auch eine Änderung der Landschaft zu Folge, denn die Natur schält sich beinahe im Handumdrehen aus ihrer stumpfgewordenen Hülle und präsentiert uns ihr neues Bild einer bewässerten Gartenlandschaft vor dem Hintergrund der sich abzeichnenden Pyrenäen. Die Ebenen begrünen sich, unter anderem sogar mit Wiesen, auf denen Kühe weiden - ein gar seltener Anblick! Die Bergkette der Sierra de Montsec, eine sich seit Stunden am Horizont abzeichnende Barriere, gewinnt nun rasch an Mächtigkeit und türmt sich wie ein undurchlässiger Abschluß des Segre-Tales vor uns auf.
Kurz vor Camarasa halten wir zu einem fantastischen Panoramablick, der uns um so mehr fesselt, als wir lange Zeit solch gebirgige Geballtheit entbehren mußten. Die C147 läuft direkt auf diese Wand zu und verschwindet wie abgehackt in der Schlucht des Río Segre. Auch wir entschwinden in ein Tal links der Straße ins Naturschutzgebiet Lago Sant Llorenç und folgen einer Flußbiegung des Río Segre nach Llorenf de Montgai - eigentlich ein unbeabsichtigter Linksschwenk, zu dem uns ein Richtungspfeil zu einen Campingplatz veranlaßt und der uns unvermutet in ein zauberhaftes Tal bringt. Zwischen steilaufragenden Felswänden, Zacken und Türmen schimmert der Río Segre in seinem breiten Bett in brillantesten Blau-, Grün- und Türkistönen, gesäumt von einem schmalen Streifen Strauch- und Buschwerk an der einen und etwas Wald an der anderen Seite. Der Anblick dieser faszinierenden Fluß-Farben löst in uns eine ganz und gar überdrehte Freude aus; kein Wunder, schließlich hatten wir schon fast vergessen, daß es eine solch breitgefächerte Blau-Grün-Palette überhaupt gibt. Freestyle-Kletterer in den Wänden, Badende am
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