Mit Jockl nach Santiago
aalgewundene Stausee, der in der vorwiegend rötlichen Bergwelt in einem kraftvollen Kontrast dazu steht. Nach der kilometerlangen Apathie von gestern befinden wir uns heute in einem prickelnd aufreibenden Dauerstreß, all diese einzigartigen Eindrücke in uns aufzunehmen. In Fontllonga, einem kleinen Nest mit kolossalem Ausblick lassen wir uns unter Kirschbäumen zu einer ersten Pause nieder, nicht ohne uns zuvor wieder einmal besinnungslos mit Brombeeren vollgefressen zu haben, an deren Hecken am Ortsrand wir wie Erntemaschinen drübergezogen sind. Es scheint, als hätten wir das Glück heute gepachtet; hoffentlich bleibt es uns auch weiterhin gewogen.
Die Landschaft ändert sich alle paar Augenblicke, verliert gegen Ende des Sees jedoch etwas an Dramatik, um uns beim Eintauchen in eine neue Schlucht nochmals mit gewagten Überhängen und Steilwänden die Halswirbel zu verdrehen. Nach einem dritten Tunnel lassen wir die Sierra de Montsec endgültig hinter uns und tauschen die optischen Aufregungen gegen ein friedliches Bild, das der Panta de Terradets beherrscht, allerdings mit stark gesenktem Wasserspiegel, wie sich an einem durchgehend braunen Uferstreifen erkennen läßt. Wiesen und Felder erstrecken sich in der Ebene, die nach einigen Kilometern in welliges Hügelland übergehen und dieses wiederum in noch weiterer Feme von einem neuen Gebirgsmassiv begrenzt wird.
Eine knappe Stunde Fahrt entlang des Sees bringt uns nach Tremp, einer kleinen Provinzstadt vor dem Panorama sich aneinanderreihender Bergketten. Außer einer stattlichen Wehrkirche - wunderbar restauriert - und einigen wenigen gefälligen Häusern wirkt die Stadt ein klein wenig verlebt, jedoch nicht unsympathisch. Die Öffnung des Tourist-Office wollen wir noch unbedingt abwarten, um über die Gegend einige Infos einzuholen. Diese bekommen wir dann auch detailliert, unter anderem den Hinweis, daß die Paßstraße zwischen Isona und Coli de Nargó »broken« und für Wohnwägen ohnedies gesperrt sei, daß bei einer Panne keine rasche Hilfe möglich sein würde. Ausgerechnet diese Route sieht unsere morgige Etappe vor. Doch so leicht lassen wir uns nicht entmutigen, außerdem würde eine Umkehr einen Umweg von zwei Fahrtagen bedeuten. Also treffen wir Vorkehrungen für ein eventuelles »Abenteuer«, füllen die Wasserkanister auf, pflügen die Regalreihen eines Supermarktes nach Brauchbarem ab und verabreichen unserem Jockl ein gestrichen volles Maß an Sprit. Alles weitere werden wir ja sehen bzw. erleben.
Die 14 Kilometer bis Isona bereiten natürlich noch keine Probleme, außer daß sich von den Bergen eine breite Wolkenfront in grimmigstem Dunkelgrau zu uns herüberschiebt und uns bald wie Flüchtige in rasantem Tempo vor sich herjagt. Die schlagartig über das Land hereinbrechende Düsternis und ein zynisch wehendes Lüftchen verheißen nichts Gutes. Unser Zelt noch irgendwo vor Isona aufzustellen, scheitert an der Zersiedelung der Gegend und seiner reichen Feldbewirtschaftung, die die Suche nach einem geeigneten Lagerplatz erheblich erschweren. In Isona zweigt schließlich die Paßstraße ab, und fast augenblicklich spüren wir auch am eigenen Leib was mit »broken« gemeint war: ein Straßenbelag der allerübelsten Sorte. Na denn gute Nacht! Ungefähr drei Kilometer nach Isona zwingen uns erste Tropfen, mit einem Brombeerwall als Deckung Vorlieb zu nehmen und unsere Bleibe in die Landschaft zu bauen. Bald regnet es uns gemütlich aufs Dach, während wir unsere letzten Brombeerreserven von heute Mittag in einer warmen, etwas wäßrigen Topfencreme versenken. In den nahen Bergen gewittert es heftig; die Reste davon begleiten uns später in einem unterdrückten Gegrummel bis in den Schlaf.
Mit einer wunderbaren Stimmung beginnt der nächste Tag. Die Sonne steht noch tief hinter den Bergen, und vor uns schläft das Tal unter einer dichten Nebelschicht, die uns das Gefühl gibt, als lagerten wir in mehreren tausend Metern Höhe. Weit hinter diesen weißen Nebeln leuchten ferne Berge in den ersten Strahlen der Morgensonne, Bienengesumm brummt wohlig von einigen Bienenkästen in der Nähe zu uns herüber, und irgendwo kräht ein Hahn einen verspäteten Weckruf.
Heute starten wir unseren Jockl schon zu einer Zeit, zu der wir an anderen Tagen erst mit einem schlafverklebten Auge aus dem Zelt blinzeln. 80 Kilometer auf teils miserabler Straße erfordern diesen frühen Aufbruch. Aber irgendwie fahren wir gleich nach dem Start ins Ungewisse, als
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