Mit Jockl nach Santiago
augenfällig; besonders am Hauptplatz, wo die ergrauten Herren in ihrem Sonntagsstaat, die Gehstöcke zwischen die Beine geklemmt, träge im Schatten sitzen und auf die Siesta oder die Himmelfahrt warten, je nachdem. Der Ort hinterläßt heute, wie schon vor Jahren bei unserer Motorradvisite, wenig Eindruck. Das betrübt uns kaum, denn wir haben uns natürlich für einen Umweg über Loarre entschieden, um einer unserer Lieblingsburgen nochmals die Referenz zu erweisen. Da kommen wir wenigstens auf unsere Kosten - denken wir!
In Ayerbe zweigt die Straße zur Ortschaft Loarre ab, ein kurzweiliger Weg durch abwechslungsreiche Landschaft mit Feldern und Obstbaumhainen entlang der eindrucksvollen Kette der Sierra de Loarre. Da uns der in Ayerbe vertilgte Mandelkuchen - ein ganzer Napfkuchen - zu wenig Verdauungsprobleme bereitet, ernten wir unterwegs noch einen Brombeerwall mit fast kirschgroßen, paradiesisch süßen Flüchten ab. Bei dieser ungeheuren Beerenfülle hilft wirklich nur eines: pflücken und essen, pflücken und essen und essen und... Doch als aktive Umweltschützer hören wir kurz vor dem Platzen auf und besteigen trotzdem noch reichlich überfressen den Jockl zum Endspurt nach Loarre. Außerhalb des gleichnamigen Dorfes am Fuße des Bergmassives führt eine fünf Kilometer lange, einspurige Rumpelstraße in steilen Kurven und Serpentinen zur Burg hinauf. Schon die Auffahrt im zeitweisen Konvoi läßt uns Übles ahnen, und wie befürchtet umlagern das Castillo Scharen von Ausflüglern, die im erträglichen Waldschatten sitzend, den Inhalt ihrer mitgebrachten Picknickkörbe verspeisen. Die parkenden Pkw-Reihen reichen bis an die Burg heran und verletzen schlichtweg die Aura dieser grandiosen Anlage, ein Bauwerk, das sich in famoser Weise harmonisch in die Umgebung einfügt als eine wahre Krönung derselben. Nun stehen wir unmittelbar davor, und es gelingt mir nicht, meinen Ekel darüber zu verbergen, wie innerhalb weniger Jahre eine der bedeutendsten romanischen Burgen Spaniens, ein Königspalast und späteres Kloster zu einem Treff der Papptellerverbraucher degradiert werden konnte. Als einsam und abgelegen, stolz und zauberhaft zugleich blieb uns Loarre alle Zeit hindurch in Erinnerung. Heute ziert eine widernatürliche Nadelwaldaufforstung Loarres Hintergrund, ein Getränkekiosk inmitten von Tischen und Sonnenschirmen sorgt, daß die zahlreichen Besucher auch keine Sekunde darben müssen, und der Parkplatz neben der Burg garantiert, daß auch die beleibte Tante Esmeralda ihren Wackelhintern mühelos über die kurze Distanz zum Eingang bewegen kann. Das ist der Stand der Dinge, die das aktuelle Bild Loarres prägen. Keine zehn Minuten nach unserer Ankunft machen wir kehrt und rasen wieder hinunter, daß es nur so scheppert.
Im selben Schwung geht es weiter, als befänden wir uns auf der Flucht. Bruthitze erstickt inzwischen das halbe Land wie in einem Backofen und außer kleinen, umherhuschenden Zauneidechsen haben sich alle Lebewesen in irgendwelche Löcher verkrochen, um dort bis zum Abend auszuharren. Nur wir zwei Deppen schwitzen uns den Brombeersaft aus dem Leib. Von Bolea, einem malerischen Ort auf einer Felsnase vor herrlicher Bergkulisse, nehmen wir die restlichen 20 Kilometer nach Huesca, der Provinzhauptstadt, in einem zügigen Nonstop.
Auf dem städtischen Campingplatz hat sich, außer einem installierten Computer in der Rezeption, nichts verändert. Die Stadt hingegen befremdet uns - doch nicht negativ. Ganz Huesca brodelt über vor Festivitäten, Jahrmarkt, folkloristischen Tänzen und Umzügen und später einem nächtlichen Feuerwerk. Egal, wohin man seine Schritte lenkt, überall herrscht ausgelassene Stimmung, auch vor der Kathedrale, in der gerade eine Doppelhochzeit endet, geben sich die Angehörigen in spritziger Sektlaune. Bei Einbruch der Dunkelheit hellen die angestrahlten Fassaden der historischen Baudenkmäler Gassen und Plätze auf. Das Volk promeniert in einer einzigen Masse durch die Straßen, und da und dort bilden sich kleine Manegen in der Menschenmenge, in denen Jongleure und Feuerschlucker ihre Bälle, Flaschen und Fackeln unter Rufen und Klatschen des Publikums gegen den schwarzen Himmel schleudern. In den großen Straßencafés flitzen die Kellner unter Höchststreß fischen Bar und Tischen hin und her, immer in akkuratem Outfit - schwarze Hose, blütenweißes Hemd - und immer eine herablassende Distanziertheit dem Gast gegenüber wahrend. Je später der Abend, um so
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