Mit Jockl nach Santiago
praller und wirbeliger das Geschehen, um so interessanter unsere Beobachtungen und schriller die einzelnen Typen in einem Gemisch aus Einheimischen, Afrikanern, Asiaten und natürlich Zigeunern.
Nach mehreren Stunden fühlen wir uns genug durch die Menschenmangel gedreht und treten den Rückzug zum Camp an. Doch auch dort trubelt Zirkus und Remmidemmi bis in die frühen Morgenstunden. Spanien versteht eben zu feiern, eine »Kunst«, die in unseren Breitengraden im wahrsten Sinne des Wortes meist zu künstlich betrieben wird.
Am Vormittag in der Stadt deutet nicht das geringste Papierfetzchen auf die gestrigen Umtriebe hin. Alles geht seinen gewohnten Gang: die älteren Senores sitzen auf Bänken unter schattigen Bäumen ihren Ruhestand ab, in den Bars floriert der Tagesklatsch, in den Geschäften herrscht Wochenendhochkonjunktur und im Parkverbot stauen sich die Blechkarossen in Zweierreihen.
Mit gefülltem Tank und frischem Proviant begeben wir uns auf Fahrt - eine Langeweile ohne Gnade und ein Schweißbad sondergleichen. Die Straße vor und hinter uns leer, die Landschaft leer - Himleere, wie sie schlimmer nicht mehr sein kann! Heute kann ich dieser tödlichen Eintönigkeit beim besten Willen nichts mehr abgewinnen, selbst ein Castillo am Horizont oder einige Riesenwackersteine im Gelände lassen mich kalt. Leider passiert das nicht wörtlich. Und so kommt, was einmal kommen mußte, ja was sich in dieser weltabgeschiedenen, katastrophalen Einöde fast anbietet: ich gönne mir den Genuß einer kurzen Oben-ohne-Fahrt. Die Gelegenheit des Augenblicks nutzend, schießt Wolfgang von der Jockl-Rückbank ein Foto meiner Rückenansicht mit einem ellenlangen Teilstück der N240 im Hintergrund. Was nur ein Gag, eine Erinnerung an meinen Halbstripp sein sollte, landet gute drei Monate später als Rasterbild zu einem gedrucktem Artikel in der »Süddeutschen Zeitung« auf den Frühstückstischen honoriger Bürger. - »A nokats Weib auf an Bulldog - wos gscheidas foit eana nimma ei!« - so oder ähnlich kann ich mir manche Leser-Reaktion darauf vorstellen. Na, wie dem auch sei, im katholischen Spanien hält die Frau im allgemeinen ihren Frontbau bedeckt, auch wenn es sich, wie in meinem Fall nur um die Front handelt. Und so schürze ich meine schweißverklebte Blöße denn auch bald wieder, bevor ein einsamer Schäfer sich zu sündhaftem Voyeurismus genötigt fühlen könnte.
Nach 50 Kilometern langt’s uns vorerst, und wir legen in Barbastro, einer geschichtsträchtigen Kleinstadt mit arabischer Vergangenheit, eine längere Pause ein. In den schattigen Gassen und unter den Arkaden an der Plaza Mayor erholen wir uns vom Hitzemarathon, bevor wir in das eine Fahrstunde südlich von Barbastro gelegene Monzón aufbrechen. Dorthin begleiten uns weite Felder, mäßiger Verkehr und alle paar Kilometer der unverkennbare Geruch von Schweinestall um die Nasen, dem ein optischer Saustall an Plastikmüll am Straßenrand in nichts nachsteht. Auch Monzón wird uns diesen Tag nicht in nennenswerter Erinnerung halten. Der westliche Stadtrand heißt den Besucher mit einer grauenhaften Industriekulisse willkommen. Nach der Verschmutzungspatina zu urteilen, handelt es sich ausschließlich um veraltete Fabrikanlagen, über denen sich schwarzer Rauch zu einer wenig umweltfreundlichen Wolke sammelt, die, nachdem sie sich nach allen Seiten ausgedehnt hat, wie ein Trauerflor über der Stadt hängt. Trotzdem geht die Häßlichkeit der Fabrikanlagen Hand in Hand mit einem sehr eigenwilligen Reiz - Liebhaber der Industriefotografie kommen hier unbedingt auf ihre Kosten. Monzón hätte wohl auch noch andere Trümpfe in Reserve - einige sehenswerte Kirchen und ein streitbares Castillo der Tempelritter - doch nicht mehr für uns. Auf einer Umfahrung sparen wir die Stadt aus, um ein paar Kilometer außerhalb, in unmittelbarer Nähe einer Flurbereinigungsbaustelle mit abgestellten Baumaschinen unser eigenes Castillo zu errichten.
Heute beginnen wir den Tag mit einem Frühstück ganz nach unserem Geschmack. In Binefar, wenige Kilometer von unserem Nachtlager entfernt, weiß eine kleine Konditorei zwei anspruchslose Kunden über die Maßen zu verwöhnen. Kuchen und Kaffee in ein und demselben Lokal, welch ein seltener Luxus. Ansonsten auch hier das typische Ortsbild: Männer im Schatten vor einer Bar, gähnende Leere in den Straßen. Auch zwischen Binefar und Tamarite de Litera das gewohnte und mittlerweile schwerverdauliche Hügeleinerlei, das
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