Mit Jockl nach Santiago
Wischzeremonien kämen wir nie auf die Idee, komfortabler reisen zu wollen. Jockl wurde uns über Monate hinweg zu einem unverzichtbaren Gefährten, zu einem beweglichen Zuhause. An den Lärm, die Motorvibrationen und die gelegentlichen Mucken haben wir uns gewöhnt wie Eltern an den Radau ihrer Sprößlinge. Den Jockl gegen eine bequemere Limousine einzutauschen, fiele uns nicht im Traum ein; da wäre die Tour für jeden von uns gelaufen. Noch trennen uns einige Wochen von der Heimat, aber schon jetzt - ja eigentlich schon lange vorher - steht für uns die Tauglichkeit eines simplen Traktors als Reisemobil völlig außer Frage. Bei entsprechender Vorbereitung, Ausrüstung und persönlicher Einstellung überwiegen die Vorteile eines solch kuriosen Unterfangens bei weitem alle anfallenden Nachteile. Daß wir in unserer Anhänglichkeit zu unserem Traktor vielleicht ein wenig übertreiben, ihn - eine leblose Maschine - sogar personifizieren, mag für Außenstehende ein Zeichen infantilen Gemüts oder fehlendem Sinn für die Realität sein. Wir hingegen sehen es als Spaß, den Traktor als gleichwertigen Exkursionsteilnehmer in unsere Gemeinschaft miteinzubeziehen. Außerdem signalisiert unsere »Affenliebe« zum Jockl Dankbarkeit und Bewunderung für sein einwandfreies Funktionieren, das ein regelmäßiger Ölwechsel, voller Tank und frisches Getriebeöl ja noch lange nicht garantiert. Nur zu gerne erinnere ich mich an den Austragbauern Hermann Stammel, eine Bekanntschaft ziemlich am Beginn unserer Reise, der mit Lob und Bewunderung seinen alten Eicher-Traktor ehrte und dessen Motorhaube tätschelte, als wär’s eine gute Milchkuh. Dieser Traktor war ihm ein lebenslanger, verläßlicher Arbeitspartner; warum sollte er mit seinem Stolz und seiner Zuneigung hinter dem Berg halten. Weder er noch wir treiben einen Kult mit unseren Vehikeln, sondern bekunden lediglich unsere Freude an einer guten Sache.
Nun also sitzen wir auf unserem »guten« Jockl und kutschieren nach Sainte-Enimie in die Wärme. Auf den ersten Blick ein Touristenkaff, doch hinter diesem ganzen Andenkenramsch und einer Front an Ansichtskartenständern entdecken wir einen ganz zauberhaften Ortskern, ein über Jahrhunderte gewachsenes Winkelwerk aus romanischer Kirche und einigen absolut sehenswerten Häusern, die mit steingepflasterten Gäßchen, ein paar Treppenaufgängen und einem winzigen Hauptplatz einen intimen Mittelpunkt bilden. Die Hanglage von Sainte-Enimie ermöglicht zuweilen gute Ein- und Ausblicke auf Türme und über schiefergedeckte Dächer hinunter zum Tarn, an dessen Ufer sich der Bootsverleih an diesem Vormittag noch recht schleppend anläßt. Auch die Besucherschaft hält sich in Grenzen, was zum Erleben des Ortes nur positiv beiträgt. Nachträglich betrachtet, beendet Sainte-Enimie den romantischsten und spektakulärsten Abschnitt des Canyons, denn nach dem Ort beruhigt sich die Schlucht-Dramatik ein wenig. Bei Prades erregt das dortige Château einiges Aufsehen, gefolgt von Château Castelbouc zwei Kilometer weiter tarnaufwärts. Hier schwingt sich die Natur zu einem letzten felsigen Aufbäumen empor und bildet zusammen mit den Ruinen der Burg jenseits des Flusses eine theatralische Szenerie.
Das war’s denn auch! Die Schlucht verbreitert sich, Wiesen und Felder drängen die Wände zurück, der Talboden gewinnt wieder an Breite, begrenzt von dicht bewaldeten Hängen. Die Straße senkt sich langsam und verläuft nicht mehr wie noch zuvor aus Platzmangel in einigen Metern Höhe über dem Tarn. Das Grandiose der Schlucht hat sich dezent verabschiedet, übrig bleibt ein durchschnittlich gefälliges Tal wie unzählige andere auch.
Bei einer Pause in Ispagnac, einem verträumten Marktflecken im herbstlichen Blätterfall, entscheiden wir uns für eine Weiterfahrt nach Mende und verzichten auf das südlich gelegene Florac, wo der aus den Lozere-Bergen kommende Tarn seinen berühmten Durchbruch der Kalksteinscholle erreicht. Der Tarn hat uns nun seit Albi begleitet; das genügt. Jetzt trennen sich unsere Wege.
In langen Serpentinen qualmen wir zum 1042 m hohen Col de Montmirat hinauf, wo mit der Paßhöhe eine einschneidende Veränderung der Landschaft beginnt: Hügel mit Baumbeständen von der Spärlichkeit einiger dürftiger Haare auf einer vorprogrammierten Vollglatze, Orte mit dem Charme einer Fertighausarchitektur, die fast körperliches Unbehagen hervorrufen. Acht Kilometer vor Mende überqueren wir den Lot und folgen seinem Lauf
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