Mit Jockl nach Santiago
Hühner bevölkern. Wenig scheu und sehr neugierig folgen sie uns auf Schritt und Tritt, und bei jedem Geräusch aus dem Zelt rennen sie sofort herbei und blockieren mit einem erwartungsvollen »Gooook« den Eingang. Wolfgang jagt sie spaßeshalber herum, doch sie erweisen sich als ausdauernde Läufer und sehr hartnäckig. Sie setzten ihren Willen, in unserer Nähe herumzupicken, durch - »Gooook«! Von wegen dumme Hühner!
Als sich nach einem nebeligen Morgen noch ein paar Sonnenstrahlen durch heranziehendes Gewölk schummeln, sitzen wir in Saint-Alban in einem Gastgarten neben der Kirche und studieren den Wetterbericht. Zwei Jakobspilger - ein Ehepaar aus der Schweiz - gesellen sich für einige Minuten zu uns. Dabei erfahren wir unter anderem auch, daß die vergangene Nacht den Höhen um 1300 m den ersten Frost brachte. Kein Wunder, in unserem Zelt, 400 m tiefer, erwachten wir heute morgen bei 7°C Innentemperatur - nicht sehr erbaulich. Da war ich dem Stadium einer Tiefkühlpute schon sehr nahe. Wieder wird es Mittag, ehe wir aufbrechen. Während der 38 Kilometer nach Saugues pendeln wir zwischen 1000 und über 1300 m hinauf und hinunter. Eine bleiche Sonne versucht vergeblich gegen eine immer dichter werdende Wolkenschicht anzukämpfen. Beim Pilgerkirchlein von La Roche schenkt sie der Landschaft noch für einige Augenblicke einen strahlenden Auftritt, belebt das kräftige Rotorange früchteschwerer Vogelbeerbäume am Wegesrand, da erlischt das rote Leuchten zu einem stumpfen Ton und die Helligkeit verschwindet wie weggesaugt. Die Schlechtwetterprognose hält also Wort. Den aufkommenden Wind registrieren wir anfänglich fast nicht, da er im selben Tempo wie wir gegen Norden fegt. Erst als wir in Saugues, dem ersten Stopp nach der Grenze zur Auvergne, vom Jockl springen, wird es ungemütlich. Die Böen treiben uns von einem schützenden Eck ins nächste. Eigentlich wollten wir uns hier die eingeschlafenen Beine vertreten und uns im Ort ein wenig umsehen. Ein imposanter Turm aus dunklem Granit gegenüber der Kirche und die herrlich schmuddelig-faden Auslagen böten uns beiden schon genügend Besichtigungsstoff. Stattdessen tappen wir mit einer verwirbelten Ladung Staub in den Augen in das nächstbeste Café. Eine Glocke bimmelt, ein halbes Pferd von Hund bellt die Begrüßung. Verunsichert drehen wir uns im Kreis. Möglich, daß wir mit dem Sand in den Augen die falsche Tür erwischt haben und in die Requisitenkammer des örtlichen Laientheaters geraten sind. Aber draußen über dem Eingang prangen doch eindeutig lesbar die vier Buchstaben CAFÉ. Drei Tische füllen den Platz vor einer Theke und immerhin verleiht ein Sortiment verstaubter Flaschen an der Wand dem ganzen so etwas wie Bar-Charakter - also doch richtig. Ah, schon müht sich auch eine rundliche Madame eine knarrende Holztreppe herunter - ihre Ähnlichkeit mit Walt Disneys Madame Mim beruht auf reiner Zufälligkeit - schlurft in ausgelatschten Pantinen auf uns zu und fragt tonlos nach unseren Wünschen. Café au lait!? - Auch das noch, verrät ihre mürrische Miene. Unsere Bestellung stürzt sie sichtlich in noch größere Unlust, als ihr ganzes Auftreten ohnedies bekundet. Noch trägeren Schrittes, von der Last unserer Standard-Order gebeugt, schlurft sie zur Espressomaschine. Unsere unliebsame Anwesenheit, mit der wir Madame belästigen, verunsichert uns erheblich, erst nach einem unschlüssigen Hin und Her - viel Auswahl gibt es Gott sei Dank nicht - plazieren wir uns an einen der Tische, unter dem sich auch das halbe Pferd niederläßt. Selten eine Räumlichkeit, in der alle Details so stilvoll aufeinander abgestimmt sind: die braunen Pappmache-Pilze als Auslagendekoration; der Kehrichthaufen neben einem Besen in der Ecke; ein altes Porzellanwaschbecken mit einem fleckigen Lappen an der Seite, das ein notdürftig in einer Deckenkarnische befestigter Plastikvorhang vom übrigen Raum separieren sollte, es aber nicht tut; schräg gegenüber an der Wand eine Schubladenkommode und darüber eine Wanduhr; ein Putzeimer oder Wasserkübel für das Kalb; ein Stoß Prospekte und Zeitungen auf einem Schemel und allerhand in einem Café deplazierte Accessoires persönlichen Gebrauchs. Die angeschlagenen Tassen, in denen uns der Kaffee serviert wird, haben auch nur mit Müh’ und Not den letzten Polterabend überstanden und wie das allgemeine Ambiente und die Tassen, so auch der Kaffee: einfach scheußlich. Während wir naserümpfend in diesem Gesöff
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