Mit Jockl nach Santiago
herumrühren und es mit reichlich Milch zu einem grauen Beige umfärben, lehnt die Gnädigste reglos an der Eingangstür und fixiert die gegenüberliegende Häuserfront. Die Uhr tickt, der Hund seufzt gelangweilt, der Wasserhahn tropft - schließlich, nach endlosen Minuten unser geräuschvolles Stühlerücken, was Madame dazu bewegt, ihren resignierten Blick auf uns zu richten und an unseren Tisch zu treten. Wir zahlen, verabschieden uns - »Orewa und ois wos dazuagheat!« - und atmen erleichtert staubgesättigte Gassenluft, als die Bimmeltür hinter uns ins Schloß fällt.
Wie sehr uns der Aufenthalt in diesem Etablissement physisch wie psychisch beengte, merken wir an der Leichtigkeit unser Schritte, mit denen wir anschließend unserem Jockl entgegensegeln.
Nach einem einstündigen Bergauf und Bergab senkt sich die Straße bei Saint-Arcons ins Tal des Allier, und schon sechs Kilometer weiter feiern wir Wiedersehen mit Langeac. Auch diese Stadt war Station während unserer einstigen Raditour. Zwar kommen wir diesmal aus der entgegengesetzten Richtung, doch den Campingplatz peilen wir so sicher an wie für einen goldenen Schuß. Der Wind hat mittlerweile nachgelassen, dafür fängt es zu regnen an; fürs erste zwar nur ein kurzer Schauer, doch bei diesem tiefhängenden Wolkenbataillon ist uns ein Nachschlag gewiß. Erst recht kein Grund, den Stadtbummel auf die lange Bank zu schieben.
Langeac hat sich seit unserem letzten Besuch kaum verändert. Ihre optimale Lage am Allier nahe den berühmten gleichnamigen Schluchten begünstigt sie als Ausgangspunkt zu Ausflügen nach Le Puy, Saint Flour oder Lavaudieu, zu Wanderungen in die Margeride-Berge und Kajaktouren auf dem Allier, dessen malerischster Teil sich von hier bis ins nördliche, 35 Kilometer entfernte Brioude erstreckt. Trotz allen touristischen Angebots scheint die Stadt jedoch fern davon zu sein, in die Hierarchie eines Fremdenverkehrszentrums aufzusteigen. Im Gegenteil, nach wie vor wirkt sie bei näherem Kennenlernen wie ein großes Dorf mit Stadthäusern. Ja, Langeac muß ein Dorf sein, wie sonst gelänge es einem Mann innerhalb kürzester Zeit auf der Suche nach uns die halbe Stadt abzulaufen. Besagter Herr hat am Parkplatz unseren Jockl gesichtet, aber nicht nur der Traktor, sondern in erster Linie das Erdinger Kennzeichen waren Anlaß für seine Großfahndung. Da er Freunde in Erding besitzt, wollte er uns ausfindig machen und kennenlernen. Wie man sieht, war seine Suche nicht umsonst. Schon von weitem eilt er uns leicht aufgelöst und mit einem Ach-da-seid-ihr-ja-Lächeln entgegen, so als ob wir ebenfalls ein Erdinger Nummernschild um den Hals trügen. Aber wahrscheinlich liegt es nur an unserem verrüttelten und zerschüttelten Gesamteindruck, daß er uns ohne Zögern als Traktoristen identifiziert.
Am Abend setzt endlich Regen ein und beendet das Bangen, ob und wann es uns wieder einwässern wird.
Bis zum Morgen ergießt sich das Naß in monotoner Heftigkeit über uns. Aus den paar Wohnmobilen und Zelten spurtet dann und wann jemand in großen Sprüngen über den regensaftigen Schwammrasen zu den Waschräumen, sonst zeigt sich niemand auf der Bildfläche. Sollen wir nun bei dem Mistwetter aufbrechen oder nicht? Um uns Klarheit zu verschaffen, erkundigt sich Wolfgang an der Rezeption nach dem weiteren Wettergeschehen. Dort ruft ein hilfsbereiter Bursche sogar die Wetterstation an und läßt sich die Vorschau für die kommenden vier Tage durchgeben, die er dann in simplen Sonne-, Wolken- und Regensymbolen auf einen Zettel zeichnet - das nennt man Dienst am Kunden. Da die Prognose für heute Nachmittag einige Wölkchen und nur strichweise Regen vorsieht, packen wir zusammen und fassen Brioude ins Auge. Selbstverständlich nehmen wir die längere und interessantere Strecke durch das Tal des Allier, denn wir haben nicht im Sinn die Schlucht dem schlechten Wetter zu opfern. Unsere Entscheidung belohnt eine anmutige Tal-Landschaft mit üppiger Vegetation, die der Allier fotogen durchschlängelt. In seinem Verlauf treffen wir wieder auf untrügliche Beweise vulkanischer Tätigkeiten, Markenzeichen der Auvergne. Und gerade in den Schluchten des Allier erhält man einen guten Einblick in einen Teil der Erdgeschichte, denn hier umfließt der Fluß erstarrte Basaltströme in weiten Mäandern oder durchstieß diese Barrieren vor undenklich langen Zeiten in engen, tiefen Klammen. Einige Orte im Tal erheben sich auf diesem Basaltgestein wie Akropolen über
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