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Mit Jockl nach Santiago

Mit Jockl nach Santiago

Titel: Mit Jockl nach Santiago Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heide Fürböck
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bis in die Stadt. Was um alles in der Welt hat Mende verbrochen, um sie derartig mit Verunstaltung zu strafen? Ein Meer scheußlicher Neubauten überzieht die Hänge nördlich der Stadt, ein Anblick, bei dem wir im Geiste die Hände ringen. Wo hat’s uns da nur wieder hinverschlagen? - In ein Flüchtlingslager? - Ein großflächiges Wohnprovisorium? - Oder in eine sibirische Grubenarbeitersiedlung? Diese Städteplaner, diese Architekten mit dem Geschmack einer Kaulquappe und wer sonst noch für diesen grotesken Schwachsinn verantwortlich zeichnet, sie sollten sich besser mit der Gestaltung von Aschenbechern beschäftigen, anstatt sich kreative Armutszeugnisse auszustellen. Jeder Eingeborenenstamm zeigt mehr Sinn für menschen- und landschaftgerechtes Bauen und Wohnen als all diese verbildeten Business-Narren.
    Daß Mende schließlich trotzdem einen angenehmen Nachgeschmack hinterläßt, verdankt sie der ausnehmend lockeren Atmosphäre der Altstadt. Diese besticht durch eine wohlige Verlebtheit granitgemauerter Häuser mit hölzernen Fensterläden in sonnengebleichten Farben. Nur die überraschend große, gotische Kathedrale wirkt seltsam steril, und der großzügige Platz vor ihrem Portal steht ganz im Gegensatz zur Enge der übrigen Altstadt, was aber dem gelungen Gesamteindruck keinen Abbruch tut.
     
    Unser Lager am Lot-Ufer beschert uns neben einem kalten auch einen nebeldampfenden Morgen, so daß sich die wenigen Camper auf dem riesigen Areal in den Nebelschleiern förmlich verlieren. Bis uns die ersten Sonnenstrahlen über dem Kamm des 1067 m hohen Mount Mirnat aus dem Schattendasein erlösen, reiben wir uns im 8°C kühlen Zelt die Zehen warm; am liebsten würde ich sie ja in den Morgenkaffee tauchen. Selbst unser Elan scheint eingefroren, alles geht heute nur mit halbem Tempo voran.
    Bis Mittag gönnen wir uns einen erneuten Aufenthalt in Mende. Erst dann begeben wir uns wieder auf Fahrt, laut unseren Vorbereitungen eine ziemlich ereignislose Strecke. Nach einer Stunde erreichen wir den 1237m hohen Can de la Roche und damit eine almähnliche Hochfläche links der nach Nordwesten verlaufenden Margeride-Berge, ein typisches Landschaftsbild des waldarmen Gévaudan. Vereinzelte Bauernhöfe, weidendes Vieh, Disteln und Herbstzeitlosen, kaum Verkehr auf der N106 und klare Sicht bis zu einem hügeligen, diesigen Horizont vor uns bleiben für die nächste Zeit die auffälligsten Eindrücke. Eigentlich eine müde Landschaft, deren Baldrianwirkung nicht lange auf sich warten läßt. Irgendwo nach Saint-Amans verspüren wir beide ein so unüberwindbares Schlafbedürfnis, daß wir uns abseits der Straße vor einem Kiefernwäldchen ins trockene Gras betten, um ein Stündchen zu dösen. Die Sonne wärmt angenehm, ein milder Wind fächelt das Zuviel an spätsommerlicher Hitze aus unseren Gesichtern und raschelt in den trockenen Gräsern, wovon einige windzittrig die Ohrmuscheln kitzeln. - Wie herrlich, die Seele vom Gängelband der Gedanken loszubinden und wie eine Daune gegen den Himmel schweben zu lassen. Nebenbei halte ich den Jockl im Visier, wobei mir sein schnurriger Anblick zum unzähligsten Male ein Schmunzeln abringt. Aus einiger Distanz betrachtet wirkt er wie ein buntes, kompaktes, eigenwilliges Kerlchen und paßt so gar nicht mehr in die Riege seiner bäuerlichen Anverwandten.
    Nach einer angemessenen Siesta befördert uns dieses Kerlchen nach Serverette, einem markanten Ort auf einer Anhöhe, mit Häusern bis zur Straße hinunter. Gleich hinter Serverette zweigt die D4 rechterhand ins zehn Kilometer entfernte Saint-Alban-sur-Limagnole ab. Einsamkeit auf weiter Flur, nur etwas mehr Wald als zuvor und statt der Herbstzeitlosen stecken Ansammlungen von Pilzen ihre runden Kappen zwischen dem Wiesengrün hervor. Saint-Albans beeindruckt weder aus der Ferne noch in der Nähe. Ein Allerweltsdorf, wäre es nicht eine der Stationen des französischen Jakobsweges. Die schlichte Kirche aus dem 11. Jahrhundert und eine Schautafel über den Verlauf des »Chemin de Saint Jacques« zeugen von der Pilgervergangenheit.
    Zu ungewohnt früher Stunde suchen wir heute den Campingplatz auf. Da der Wetterbericht für die nächsten Tage nicht recht vielversprechend klingt, wollen wir den restlichen Tag noch für dringende Klamotten-Wäsche nützen. Weit außerhalb des Ortes betreiben zwei gemütliche, fröhliche Damen einen kleinen Campingplatz, den außer uns ein Pärchen mit Wohnmobil und zwei ausgesprochen anhänglichlästige

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