Mit Jockl nach Santiago
1075 m hohen Paß, jenseits davon brausen wir mit Pfeffer und Hurra zu Tal. Fast lautlos, ohne Zündung, nur das Surren der Reifen und den Fahrtwind in den Ohren. In unserem Streitwagen-Übermut wären wir noch zu ganz anderen Kapriolen aufgelegt, doch spätestens vor Saint Beauzély müssen wir den Jockl zu gemäßigterem Tempo drosseln, um nicht in der Talkehre wie ein Katapultgeschoß hinauszufliegen. Gesittet und leicht abgekühlt, rattern wir in Beauzely ein, nur die Bremsen glühen - riechbar! Unser Freiheitsfeeling hat uns wirklich beinah den Verstand Verblasen. Aber er reicht noch aus, um die Schmuckheit des Ortes zu erkennen, der mit einem alten Château in seiner Mitte und stolzen, fast villenartigen Häusern einen sehr honorigen, noblen Eindruck macht. Ins Schwarze unserer allgemeinen Begeisterung trifft jedoch das »Hotel de Centre« mit seiner abblätternden Fassade, der verwaschenen, aber noch gut lesbaren Aufschrift und einer nostalgischen, signalroten Benzinzapfsäule davor. Ein idealerer Hintergrund für ein Jockl-Portrait bietet sich kaum. Dort lassen wir ihn auch zurück, während wir unsere Runden durch die Gassen drehen und uns dabei immer nur wundern können über diese kleinstädtische Pracht in einem Dorf, mitten in der Provinz.
Wenig später hält uns schließlich nichts mehr, die letzten 18 Kilometer nach Millau in einem Hauruck zu nehmen. Nach sieben Kilometern stoßen wir wieder auf die Hauptstraße, damit hat unsere bis dahin uneingeschränkte Asphaltherrschaft ein abruptes Ende. Auf der verkehrsreichen D911 rollen wir die rund 400 m Höhenunterschied hinunter ins Tal von Millau. Dort, am Zusammenfluß von Tarn und Dourbie, lassen wir’s für heute gut sein und stürzen uns ausgiebig ins Stadtgeschehen.
Vom Puncho d’Agast, Millaus Hausberg schwebt ein farbenprächtiges Geschwader von Paragleitern wie Konfetti über dem Tal und ziehen unsere Blicke solange in luftige Höhen, bis uns der Rummel in der City vereinnahmt und erst Stunden später wieder zum Camp entläßt.
Zum Frühstück machen wir der Stadt nochmals unsere Aufwartung, streunen durch die Laubengänge der Place du Maréchal-Foch, hinüber zum alten Stadt türm und wieder zurück durch geschäftslose Gassen, an deren Stadthausfassaden noch schwach die ausgeblichenen, von den Jahren verwitterten Aufschriften ehemaliger Handschuhfabriken zu lesen stehen; Relikte eines Gewerbes, für das Millau seit dem Mittelalter anerkannten Ruf besaß. Selbst heute noch stellt die Stadt den Mittelpunkt in der Handschuhfabrikation und Weißgerberei dar. Neue Handschuhe kaufen wir uns trotzdem nicht. Stattdessen begeben wir uns mit neuem Elan auf die lang herbeigesehnte Tour durch die Tarn-Schluchten.
Dazu verlassen wir die Stadt in nordöstlicher Richtung auf der stark befahrenen N9-E11, der wir parallel zum Schienenstrang der Eisenbahn und dem Flußlauf des Tarn sieben Kilometer bis nach Aguessac folgen. Dort gabeln sich Straße und Fluß, und wir schwenken ab zu einer der meistbesuchtesten Naturschönheiten Frankreichs. Im Zuge der Nachsaison erwartet uns ein nahezu beschaulich ruhiges Tal, bar jeder Sommerturbulenzen mit Schwadronen von Naturliebhabern, Durchgangstouristen und Paddlern. Nach Aguessac ähnelt die Schlucht noch für einige Kilometer einem schmalen Tal mit winzigen Orten, Gärten und Kuhweiden. Doch schon hier spielt die Natur in ersten ungewöhnlichen Felsformationen auf Kommendes an, und mit jedem Meter, den das Tal an Breite einbüßt, steigert sich sein Reiz. Allmählich rücken die Felswände zusammen und wachsen zu stattlichen Höhen, die ab Le Rozier - Regionsgrenze zwischen Midi-Pyrénées und Languedoc-Roussillon - endgültig Schluchtcharakter annehmen. Über unseren Köpfen türmen sich bald bizarrste Felsgebilde, in Jahrmillionen von Fluß und Erosion zurechtgeschliffen. Überhänge, Durchbrüche, taumelig machende Wände und Felsnadeln halten den Besucher in pausenloser Überraschung. Jede Ausweiche am Straßenrand kommt gelegen, um die Schöpfung des Tarn ausgiebig und in Ruhe mit Blicken abzuwandern, denn mit dem Fotografieren läuft hier nicht viel. Die Tiefe des Canyons vom höchsten Felsrand bis zum Talboden läßt sich von der Straße aus an keiner Stelle ins Objektiv quetschen. So muß Wolfgang seine Kamera immer wieder mit dem selben entnervten »Kriag i net auffi!« sinken lassen. Wie zu Ameisengröße geschrumpft, knattern wir durch die Schlucht, die, so eng sie auch sein mag, eine erschreckend
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