Mit Jockl nach Santiago
große Anzahl an Campingplätzen bietet, die allesamt auf schmalen Streifen Land direkt am Flußufer angesiedelt sind; jeder halbwegs ebene Quadratmeter dient nach Möglichkeit irgendeinem Zweck und sei’s als steinige Parzelle für ein Zelt. Den Andrang während der Hochsaison können wir uns lebhaft ausmalen. Jetzt hängt allerdings vor den meisten Campingplätzen bereits das Fermé-Schild an der Schranke, und die Tarn-Schluchten erholen sich unter ihrer allmählichen Entvölkerung. Auch der Fluß führt nur mehr wenig Wasser, an manchen Stellen nur noch dünne Rinnsale, so daß die Paddler einiges Geschick und Vorsicht aufbieten müssen, um sich ohne aufzusitzen durch die seichten Stellen zu lavieren. Egal ob mit dem Boot oder mit dem Auto unterwegs, bei Cirque des Baumes, einer Flußbiegung, die sich zu einem grandiosen Felskessel weitet, klappen die Unterkiefer staunenderweise nach unten. Ein absoluter Höhepunkt, der sich in einer dramatischen Felskulisse bis Les Détroits hinzieht, mit 30 m Breite die engste Stelle der Schlucht. Auch danach bombardiert uns der Canyon weiterhin mit traumhaften Anblicken auf verwegene Felsgebilde und schroffe Steilabbrüche.
Sich die Tarn-Schluchten unbesiedelt vorzustellen, mag ein Wunsch sein, entspricht aber leider nicht den Tatsachen. Außer einigen wenigen Orten - gekonnt zwischen Fels und Fluß geschachtelt - treffen wir ab und zu auf bruchsteingemauerte Häuser jenseits des Tarns, wo diese isoliert und abgeschirmt von allen Belästigungen mittlerweile zu einer Art Wahrzeichen avancierten. Viele davon dem Verfall preisgegeben, andere wiederum restauriert und zu Wochenend- oder Feriendomizilen der nicht alltäglichen Art ausstaffiert, doch dient sicher keines mehr davon einem Talbewohner als ständige Bleibe. Aus früheren Tagen erinnert eine Handvoll Burgruinen an unsichere Raubritterzeiten, als das Tarn-Tal noch alles andere als eine Postkartenidylle war.
Überall, wo Vegetation Wurzeln schlagen konnte, gedeiht sie im Überfluß. Verständlich, denn im sonnengeheizten Backofen der Schluchten herrschen teilweise südländische Klimabedingungen, während die Höhen beiderseits des Tales der Unbill der Witterung ausgesetzt sind - rechts des Tarn der Causse de Sauveterre und links davon das verkarstete Hochplateau des unwirtlichen Causse Mejean, für dessen Kargheit und Leere selbst die Landkarte nur weiße Flächen übrig hat.
Zwei Kilometer vor Sainte-Enimie, dem Hauptort im Canyon, kommt uns ein geöffneter Campingplatz wie gerufen, zumal der Schattenpegel unmerklich die Wände hinaufklettert; bald wird die Schlucht darin untergegangen und das wirkungsvolle Licht- und Schattenspiel für heute beendet sein. Gott sei Dank, denn wir sind redlich satt von den kilometerlangen Großartigkeiten. Irgendwann klinkt sich das Aufnahmevermögen notgedrungen aus, und es wäre unverzeihlich, dem restlichen Talabschnitt aus diesem Grund nur halbherzig oder mit reduzierter Aufmerksamkeit zu begegnen.
Nach einer wiederum sehr frischen Nacht erwäge ich den Kauf einer Wärmflasche, denn literweise »Heisse Tassen« und Kaffee halten nur solange die angetrunkene Wärme, bis ich mich zum ersten Mal aus meinem Schlafsack winden muß, um gewisse Örtlichkeiten aufzusuchen, und dies unter Umständen je nach Menge der Flüssigkeitsaufnahme mehrmals pro Nacht. Da jeder »Gang« ein Minus im Wärmevorrat zur Folge hat, schnattere ich früher oder später einem baldigen Morgen entgegen. Die unangenehmste Nacht ist ausgestanden, wenn wir mit bühnenreifem Gezeter in die kalten Röhren unserer Jeans reinhudeln, dann noch in die feuchten Schuhe, um eine geschlagene Stunde oder länger das von Kondenswasser und Tau genäßte Außen- und Innenzelt trockenzuwischen. Die Gaskartuschen greifen sich wie Eisblöcke an; auch Geschirrbox, Kamera, Axt, Hocker, Häringe, Zeltstangen, Nirosta-Thermoskanne, Milch- und Wasserflaschen und was weiß ich noch sind ein Quell pausenlosen Gebibbers. In Jockls Kiste herrschen zu dieser frühen Stunde Kühlschranktemperaturen; er selbst glitzert seit einiger Zeit jeden Morgen unter einem Mantel dichter Tautropfen, die wir zumindest von der Sitzschüssel, den hinteren Kotflügeln, der Rückbank, dem Kotflügelsitz und der Kiste in mehreren vollgesogenen Schwammtüchern Tauwassers entfernen müssen. Bis wir endlich Klarschiff gemacht haben, ähneln unsere Hände denen vormaliger Waschweiber nach einem winterlichen Waschtag an der Seine. Trotz der täglichen Pack- und
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