Mit Jockl nach Santiago
äußere Form nicht unbedingt, wie sich an Rekonstruktionsmodellen erkennen läßt. Als Cluny III Mitte des 12. Jahrhunderts fertiggestellt war, ähnelte der Chorbereich mit seinem verschachtelten Gewirr aus Apsiden, Kapellen und Anbauten einem einzigen Kuben- und Kegelhaufen, den das Querschiff gleich einem Pflug vor sich herschob. Hat auch die Ästhetik darunter gelitten, so steht die Einmaligkeit dieses Bauwerkes außer Frage, und was besagt schon ein professionelles Modell unter einem Glassturz, das zwar Anspruch auf Maßstabsgetreue erhebt, doch keinen auf die reale Wirkung seines Vorbilds.
Immerhin hat uns Cluny über die Maßen neugierig gemacht, was auf unseren Tagesplan umgemünzt bedeutet: Wir bleiben hier, nächtigen am städtischen Campingplatz und streichen dafür den Besuch der Höhlen von Aze.
Noch um 10.00 Uhr wissen wir nicht, was sich über dieser morgendlichen Nebelsuppe verbirgt. Erst bei Abfahrt hinein in die Stadt lüftet sich das Geheimnis und Cluny erstrahlt in sonntagsonniger Helle. Der Betrieb in den Gassen und Straßen irritiert angesichts vorangegangener griesgrämiger Sonntage. Salzburg an einem verkaufsoffenen Samstag könnte nicht überfüllter sein. Touristen zu Fuß und per Auto drängen in die kleine Altstadt, und man fragt sich, wohin sich der ganze Troß verteilen will. Die Gehsteige blockiert zur Hälfte eine Kolonne von Pkws; die Straßen verstopfen schlendernde und von allem Hupen ungerührte Passanten. Läßt man sich von dem Gedränge nicht aus der Ruhe bringen, so wird man in Cluny ein nicht unbedeutendes Potential an geschichtsträchtigen Gebäuden entdecken und das, obwohl im 2. Weltkrieg weit mehr als zwei Dutzend Häuser in Schutt und Asche gelegt wurden. Ungeachtet dessen konnte sich die Stadt über alle zeitlichen Wirrnisse hinweg ein kleines Stück Damals bewahren. Doch wie alle Orte, die dem Tourismus huldigen, muß sie diesen rummeligen Zirkus wahrscheinlich bis zu den Wintermonaten über sich ergehen lassen, um dann für wenige Wochen wieder sich selbst gehören zu dürfen.
Wie dem auch sei, wir entwinden uns dem kleinstädtischen Rummel hinaus auf eine leere Landstraße. Frankreich sitzt gerade bei Tisch und mimt die Gourmet-Nation, während zwei Vertreter des Jodel- und Schuhplattel-Ländles - nein, nicht Australien - im Tal der Grosne Richtung Cormatin zockeln. Renaissance-Schlösser liegen bei uns in nächster Zeit nicht sehr im Trend, deshalb verspüren wir auch kein Bedürfnis, das weithin bekannte Château von Cormatin zu bewundern. Da ließen uns schon eher Essensdüfte gutbürgerlicher Küchen für eine Einkehr in einem Gasthaus abbremsen. Aber auch da üben wir uns in Beherrschung und konzentrieren uns lieber auf die Landschaft, die einige Waldmüller-Idyllen mit Baumgruppen und Kühen an Wassertränken bereithält. Seit der Abzweigung in Cormatin umfangt uns eine gar friedliche Einsamkeit. Hinter Wällen von Heckengestrüpp breiten sich Wiesen in der Blumenkargheit des beginnenden Herbstes, Sonnenblumenfelder von abstoßendem Braun und Gehölze, in deren Baumkronen ein erster Schimmer Goldgelb das stumpfgewordene Grün aufmischt. In dieser undramatischen Mittelmäßigkeit der Natur begegnet uns Chapaize wie eine Königskerze am Wegesrand. Ein Vergleich, der den tatsächlichen Gegebenheiten sehr nahe kommt, denn der Vierungsturm der romanischen Prioratskirche von Chapaize überragt den kleinen beschaulichen Weiler mit einem Gardemaß von 35 Metern und ist in seiner ganzen feingegliederten Art einem italienischen Campanile nicht unähnlich.
Gute zehn Kilometer weiter östlich folgen wir dem Ruf Brancions, einer der bedeutendsten Festungsanlagen im südlichen Burgund, in ihre Adlerhorstlage hinauf. Ein goldenes Fleckchen, auf dem sich dieses Brancion zusammenkauert; da möchte man schon Adler sein. Aber sonst hält der Ort, der sich neben einer Burg aus einigen restaurierten mittelalterlichen Häusern und einer Markthalle zusammensetzt, nicht gerade das, was einschlägige Literatur in verschwenderischen Lobeshymnen ankündigt. Auch die abseits stehende romanische Kirche, genaugenommen eine fensterlose, feuchte Höhle mit Fragmenten schimmeliger Fresken, bringt den Zauber nicht zustande, auf den wir fälschlicherweise programmiert waren. Daß ein Harfenspieler vor der Kirche seinem Instrument rührselige Melodien entzupft, mag Balsam für unsere lärmtraktierten Löffel sein, Brancion hingegen zieht es nur noch tiefer in die Ausschließlichkeit einer
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