Mit Jockl nach Santiago
Vorstellungen entsprochen zu haben. Jedenfalls erstattet er kaum Bericht darüber - das sagt viel, und außerdem hat er keinen Heuschreckennachwuchs entführt - das sagt eigentlich alles. Irgendwie hat sich unser permanenter Drang nach Sigthseeing spürbar abgeschwächt; wir zeigen uns jetzt oft schon mit einem gemütlichen Spaziergang durch einen Ort oder einem Schälchen Kaffee an einem belebten Platz zufrieden. Es bedeutet wohl, daß sich nicht nur ein jahreszeitlicher, sondern auch in unserer ganzen unternehmungsreichen Tour eine Art Herbst eingestellt hat. Wir müssen nicht mehr auf Türme steigen und durch vermüllte Hinterhöfe stöbern und können auch unversucht an Museen vorbeibummeln und vor dem Portal einer Kirche kehrtmachen. Ignoriert man dieses Bedürfnis, hin und wieder abzuschalten, so beginnt man, aus einer Reizübersättigung heraus, allmählich zu ermüden und abzustumpfen, bis man schließlich an allem und zu allem die Lust verloren hat. Und das wäre ja nicht unbedingt Sinn der Sache. Wie nach einer reichen Ernte verzeichnen wir nun die Erlebnisfrüchte vergangener Monate; jetzt sind die Obstbäume sozusagen leer, also schultern wir die Leitern und freuen uns aufs Eingemachte. Irgendwann braucht man Ruhe und Abstand von einer immerwährenden Flut an Eindrücken, Begebenheiten und Neuartigem, um gedanklich aussortieren und verarbeiten zu können.
Und so erleben wir Besançon als ein erholsames, wohltemperiertes Bad ohne Hektik mit viel Zeit fürs Schauen und Gehen. Wir brauchen nichts und suchen nichts, zählen Schornsteine auf den Dächern der Stadthäuser und amüsieren uns über modemutige Mademoiselles. Ach ja, nach etwas suchen wir doch in Regalen diverser Spielzeuggeschäfte: dem Modell eines Citroen-Lieferwagens - schließlich wird es Zeit, an den Startlöchern für ein neues Abenteuer zu graben, theoretisch zumindest.
Die Gemächlichkeit behalten wir bei, als wir uns am dritten Tag unseres Aufenthaltes von Besançon verabschieden. Bei Vaire-Arcier schwenken wir auf alt-vertraute Bahnen ab, deren Verlauf parallel zum Fluß ausschließlich der gewundene Doubs vorgibt.
Der nebelige, kalte Morgen gehört bald dem Vergessen an, und ein neuer herrlicher Tag in diesem wunderbaren Herbst bereichert unsere Reise. Der Doubs hegt so träge wie ein See in seinem Bett; über der Wasserfläche tanzen Schwadronen von Mücken und aus unzähligen Pappeln füttern beim geringsten Luftzug goldgelbe Blätter auf die Uferauen. An einigen Stellen haben Angler ihre Ruten ausgeworfen und versteinern in endloser Geduld in gespanntem Beobachten der Schwimmer. Die Klapphocker aufgestellt, daneben Kübel und Picknickkörbe - so stell’ ich mir die rechte Petri-Philosophie vor. Bei Ougney überqueren wir den Doubs - notgedrungen, da die Straße am rechten Ufer endet - und setzen die Fahrt größtenteils im Schatten fort. Der Canyon-Charakter des Tales verstärkt sich und spiegelt sich im ruhigen Wasser wider. Einige Boote gleiten lautlos darüber und hinterlassen ein breitgefachertes Wellendelta. Reiher entfliehen in eleganten Flügelschlägen in den blauen Himmel, und nichts könnte uns im Moment ein überzeugenderes, bezeichnenderes Herbstbild liefern als diese wundervolle Doubs-Landschaft. Jockl schnurrt wie eine gesättigte Raubkatze, ein Panther eben; alle seine Mucken hat er abgelegt und gibt uns nicht den geringsten Anlaß zur Sorge.
Nachdem wir uns in Esnans, einem »Village historic«, von dessen Verkommenheit, die das Attribut »historic« rechtfertigt, überzeugt haben, unterbrechen wir in Beaume-les-Dames unsere Fahrt für eine angemessene Coffeetime. Ein ausgesprochen einladender Ort mit altem Kern, dessen Ursprünglichkeit auch durch eine neue, dem Zeitgeist angepaßte Gestaltung des Hauptplatzes kaum gelitten hat.
Da uns Baume-les-Dames für eine Übernachtung wesentlich sympathischer gewesen wäre, bestreiten wir auf der N83 mit einigem Widerwillen die letzten 15 Kilometer des Tages nach Clerval. Doch nur dort finden späte Herbst-Camper, wie wir, noch einen geöffneten Campingplatz. Auf halber Strecke dorthin überholt uns ein Konvoi aus weit mehr als zehn Pkws mit Anhängern - Zigeuner! Sie fahren in geschlossener Kolonne Stoßstange an Stoßstange, und kein anderes Fahrzeug unterbricht ihre Kette aus halben Schlachtschiffen von Wohnwägen, die von Kleinbussen und statusträchtigen Dieslern gezogen werden. Zigeuner gehören zum Frankreichbild wie Baguettes, das Boule-Spiel oder ganz
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