Mit Jockl nach Santiago
Mundhöhle füllt, genügt, um vor der kleinsten Entblößung Abstand zu nehmen. Schwergrauer Himmel hängt über dem Land und unseren Gemütern. Die allgemeine Stimmung beginnt sich einzutrüben und erst recht, als wir, zurück in Gilley, auf der Straße nach Avoudrey in einem regelrechten Nebelmeer untergehen. Wie von der übrigen Welt abgespalten, zockeln wir in dichtesten Schwaden dumpf lärmend dahin. Bewegen wir uns nun vorwärts oder nicht? In der Nebelblindheit, die uns förmlich die Augen auswattiert, brummen wir wie eine gefangene Hummel unter einem gestürzten Glas. Ein seltsames Gefühl der Ausgesetztheit beschleicht mich, als hätten wir unseren Planeten verlassen; laut unserer Straßenkarte passieren wir waldreiches Gebiet, doch nicht ein Ast durchbohrt unseren Nebel-Kokon. Wolfgangs Bart quillt in der feuchten Luft auf wie ausgetrocknete Flechten, und an meiner Nase zittert bald ein klares Tröpfchen. Stumm werfen wir uns gelegentlich kurze Blicke zu, die alles in einem Wort zusammenfassen: kalt!
Als vor der Ortschaft Avoudrey der Nebel-Kokon unmittelbar vor uns aufbricht, taxieren wir die Landschaft zwischen den »Bruchstellen« wie mit eben erst aufgeschlagenen Augen. Doch statt der sichtbar gewordenen Umgebung wär uns ein Café, in dem wir unsere einstige Beweglichkeit wiedererlangen würden, bedeutend lieber. In Avoudrey finden wir, was wir uns sehnsüchtig wünschen, und während uns endlich heißer Kaffeedampf in die Gesichter steigt, zählen wir die Kilometer und tüfteln uns aus, wann wir in Besançon sein könnten. Für den zweitägigen Umweg über diese Stadt zeichnet eine Plakatwerbung für eine Insekten-Ausstellung in der Zitadelle von Besançon verantwortlich. Außerdem hat es uns gereizt, auf unserem langen Rückweg eine kurzfristige, ungeplante Kehrtwendung einzulegen - eine Heimkehr-Galgenfrist sozusagen!
Als wir das Café verlassen, lichtet sich die Wolkendecke und etwas Blau schimmert hinter den dünnen Schleiern durch. Wir machen gute Fahrt mit einer kurzen Pause hinter einer windgeschützten Hecke; auch unter vermehrter Sonnenstrahlung bleiben die Temperaturen kühl und die Gänsehaut konstant. Nach drei Stunden hat die Friererei ein vorübergehendes Ende, als wir nach einem kleinen Tunnel wieder auf das klimatisch angenehmere, tiefeingeschnittene Tal des Doubs treffen, noch dazu ein sehr malerischer Abschnitt mit bis ans Ufer herabreichendem Herbstwald. Die Straße senkt sich in einer Kehre zum Fluß hinunter, von wo wir auf einem radwegähnlichen Sträßchen den Flußbiegungen folgen, bis wir bei Vaire-Arcier auf die N83 wechseln. Weniger als zehn Kilometer vor Besançon stehen uns im Wind eines beängstigend dahinpreschenden Verkehrs die Haare zu Berge, und nur mit einigermaßen festgezurrten Nerven behaupten wir unsere Spur.
In Roche-lez-Beaupre schauen wir uns die Augen nach einem Campingplatz aus; hier soll es einen geben, gibt ihn aber nicht. In Chalezeule, am Stadtrand von Besançon, hat ein Platz laut unseren Informationen bereits geschlossen, ihn finden wir geöffnet, das heißt, der Herr an der Rezeption erklärt uns, der Platz sei eigentlich »fermé«, aber für uns würde er ein Auge zudrücken. Mir fiel bei seinem freundlichen Willkommen die Augenübersätheit seines Gesichtes gar nicht auf, denn sie alle muß er bis zum Abend eines nach dem anderen zugedrückt haben, damit ein ansehnliches, internationales Völkchen eine wohnmobile Wagenburg zwischen Bäumen und Duschen aufbauen konnte.
So nahe an Besançon hält uns natürlich nichts vorm Zelt, zumal es nicht unser erster Besuch der Stadt ist und wir sie in guter Erinnerung haben. Am besten man vergißt den ganzen wirren vorstädtischen Einzugsbereich mit seinem greulichen Verkehr und konzentriert sich ganz auf jenen Teil Besançons, um den der Doubs seine dunkelblaue Schleife legt, die an der engsten Stelle ein 118m hoher Fels schließt, welchen wiederum eine Vaubansche Festungsanlage militärisch absichert. Besançon sprudelt nur so vor Leben und Geschäftigkeit. Jugend dominiert das beschwingte Treiben in der Altstadt und wir schwingen mit. Die Insekten-Ausstellung nehmen wir uns für morgen vor. Nur leider hat unsere Käfer- und Spinnenbegeisterung bis dahin merklich nachgelassen. Um unseren Umweg zu rechtfertigen, opfert sich Wolfgang für einen Ausstellungsbesuch, nachdem wir in geradezu sommerlichen Temperaturen zur Festung raufgekeucht waren. Doch seine Eindrücke schienen nicht ganz seinen
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