Mit Jockl nach Santiago
Aufmerksamkeit, um nicht an die Vitrinen zu stoßen. Für derlei Aneinanderreihungen kriegerischen Werkzeugs hege ich nur bedingt Interesse. So bewegt die Vergangenheit der Burg auch war, ihre Geschichte als Militärfestung endete im Jahr 1940 nach einem achttägigen Widerstand gegen die deutsche Armee. Mit diesem Hinweis endet auch unsere Führung, und schon wenige Minuten später finden wir uns erneut aus diesem monolithisch-leblosen Bollwerk ausgesperrt, von dem ich ehrlich gesagt keine bleibenden Eindrücke mitnehme. Wahrscheinlich produziert meine Phantasie ein Zuviel an Kasernen- und Exerzierluft, die mir schlecht bekommt.
Zurück in Pontarlier belagern Wolfgang und ich umgehend eine Boulangerie, aus der wir voll lukullischer Vorfreude mit einer Tasche Kalorienbomben abziehen, um uns auf einer Parkbank sofort über die Köstlichkeiten-Tafel herzumachen. Nur zwei ihrer knusprigen Enden beraubte Baguettes überleben als verunstaltete Wecken die Attacke und wandern bis zum Abend in die Proviantkiste, um dort zu nötiger Zähigkeit zu altem, die Wolfgang an einem »ultimativen« Baguette so schätzt. Dem Platzen nahe, lassen wir uns vom Jockl abtransportieren; dank seiner Rüttelei, die Kuchen, Cremeschnitten und Rosinenbrötchen platzsparend zurechtschüttelt, sind wir bald wieder zu halbwegs aufrechter Sitzhaltung fähig.
Von Pontarlier folgen wir dem parallel zur Schweizer Grenze verlaufenden Doubs nach Montbenoit durch ein sehr stilles Tal, in dem sich der Fluß als seichtes, von Algeninseln durchsetztes Bächlein gegen Süden schlängelt. Graureiher am Ufer lösen sich aus ihrer Starre und erheben sich elegant in die Lüfte, sobald unser Geknatter naht. Rechts von uns steigen die Grenzberge des Jura auf über 1200 m an, links wellt sich das Wiesenland einem waldreichen Gebiet entgegen.
Auf Montbenoits stolze Abtei aus dem 12. und 16. Jahrhundert dürfen wir uns freuen. Zu ihren kleinen und größeren Schätzen zählt ein überaus meisterhaft geschnitztes Chorgestühl, dessen Skulpturen laut eines Reiseführers »symbolhafte Szenen« darstellen. Genau betrachtet, zieren unter anderem auch sich prügelnde Frauen und fliegende Männer in ungewöhnlicher und deshalb umso belustigender Weise das dunkelhölzerne Gestühl - sehr symbolisch eben! Auch der Miniatur- Kreuzgang mit seinen Doppelsäulen unter einfachen Kapitellen hebt die Abtei als kleine Kostbarkeit hervor. Sonst hält uns nichts im Dorf, in dem wir gleich hinter der Kirche auf eine Nebenstraße Richtung Gilley abzweigen. Dort wohnen Fuchs und Hase und irgend jemand, der einen ganzjährig geöffneten Campingplatz betreibt. Doch wo sich dieser im touristischen Niemandsland befinden soll, wissen weder Fuchs noch Has’. Kein Mensch zu fragen da, also halten wir uns an unseren Campingführer und landen dabei drei Kilometer westlich von Gilley in einem Bauernhof-Weiler. Jetzt ist guter Rat teuer! Entweder wir nehmen mit einer Übernachtung auf weiter Flur vorlieb, oder wir inspizieren, einer plötzlichen Ahnung folgend, am Rande des Ortes ein eingezäuntes, ungemähtes Grundstück mit einigen Bäumen und einem unauffälligen Häuschen darauf. Na bitte, das nenn’ ich Sinn fürs Echte und Ungekünstelte - an der Hausmauer hängt völlig unaufdringlich ein kleines Schild: »Camping«. Nachdem nirgends hervorgeht, an wen oder wohin man sich bei Benützung des Platzes zu wenden hätte, suchen wir uns die schönste Linde und ein ebenes Plätzchen darunter und arbeiten an unserem Heim. Erst spät, als es schon zu dämmern beginnt, besucht uns eine stattliche alte Dame, in Auftreten und maskulinem Äußeren ein Gertrude Stein-Typ; auch ihre selbstbewußte, wißbegierige Art erinnert an die herbe, amerikanische Literatin. Mit Ausdauer vernimmt sie unsere bruchstückhaften Antworten auf ihr Fragenbombardement, stapft interessiert um den Jockl herum und spricht mit uns, als würden wir jedes Wort verstehen. Zum Schluß nickt sie anerkennend mit ihrem Kurzhaarkopf und stellt die Rechnung. Diese dürfte dann allerdings nach Jockls Gesamtgewicht und nicht nach Anzahl der Personen berechnet sein. Dafür haben wir Natur en masse und einen Boiler Heißwasser für uns allein.
Madame Steins Heißwassersegen hilft uns nicht durch die Nacht. Steif vor Kälte kriechen wir anderntags aus dem Zelt, auf dem wie unförmige, dunkle Flicken herabgesegelte Lindenblätter kleben. Eine heiße Dusche zum Aufwärmen schlage ich mir aus dem Kopf. Die Frischluft, die meine
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