Mit Jockl nach Santiago
bestätigt schließlich die Warnung. Doch es fahrt sich ganz gut und recht unbeschwert; kein Gegenverkehr, niemand, der hinter dem Jockl nervös drängelt oder pausenlos zu einem haarsträubenden Überholmanöver ausscheren will. Und dann - aus dem grünen Dschungel des Maronne-Tals, in einer Schleife des gewundenen Flusses, dessen Wasser man unter dem Dickicht der Bäume nur vermuten kann, ragen sie heraus wie letzte kariöse Ruinen in einem Greisenmund: die Türme von Merle (Tours de Merle). Einst ein wehrhaftes Burgen-Ensemble aus sieben verschiedenen Burgtürmen, alle in dichter Nachbarschaft zueinander stehend und sich gegenseitig bewachend. Heute kann man, eine Hängebrücke überquerend, die Ruinen in sommerlichen Licht- und Tonschauen in märchenhafter Kulisse erleben und das Tal für kurze Zeit von seiner Abgeschiedenheit erlöst sehen. Die Straße folgt hoch über der Maronne dem Flußlauf und erlaubt dadurch eine gute Dreiviertelansicht der Türme, die dem Betrachter von allen Seiten ein sehr eigenwilliges Bild bieten.
Mit einer herrlichen Rauchfahne hintendran dieseln wir nach Saint-Bonnet-les-Tours hinauf. Mit den letzten eingeräucherten Metern erreichen wir nicht nur eines von Frankreichs ungezählten »Pittoresque Villages«, sondern auch die Talhöhe über der Maronne mit einem weiten Hügelpanorama vor uns; im Nordosten erkennen wir sogar noch die baumlosen Kuppen der Puys. Unseren vulkanischen Lieblingen schenken wir einen letzten Blick, dann lassen wir’s bis nach Sexcles rennen, wo wir allmählich wieder auf die N120 einbremsen und in einer neuer Talfahrt bis nach Argentat an der Dordogne weiterbrausen. In Endstationslaune rattern wir über die breite Brücke in die Stadt hinein, der nach wie vor der nostalgische Odem vergangener Zeiten innewohnt. Mit ihren drei Hafenanlagen war Argentat einmal der wichtigste Umschlagplatz an der Dordogne, und spaziert man am alten Kai entlang, läßt sich im Geiste recht mühelos weit zurückliegende Hafengeschäftigkeit heraufbeschwören. Die Dordogne liegt indes fast reglos in ihrem molengesäumten Bett, überraschend sauber und klar. Im stillen Wasser spiegelt sich die Häuserfront der gegenüberliegenden Uferzeile, und nicht ein Insekt wagt es, das makellose Bild durch endlose Kreise einer Wasserberührung zu zerstören. Argentat brütet in seiner Frühabend- oder Mittwochnachmittagslähmung dahin oder was auch immer. Genauso der örtliche Campingplatz - er ist geschlossen! Nun, das kümmert uns ausnahmsweise wenig, denn ein wesentlich exquisiteres Plätzchen wartet auf uns nur drei Kilometer weiter Dordogne aufwärts im Schatten des Châteaus le Gibanel. Unter blühenden, umwerfend duftenden Linden zimmern wir dort unser Zelt zusammen.
Trommelgeräusche bohren sich in letzte Traumphasen - Regen beglückt unseren Tagesbeginn. Und da vorerst kein Ende in Sicht scheint, packen wir unser Zelt ruckzuck in nassem Zustand ein. Kurz nach der Verriegelung der Jocklkiste fällt auch der letzte Tropfen. Eine blasse Sonne dringt durch den ganzen Wolkendampf und zaubert eine feenhafte Stimmung über dem granitgrauen Château; die Dordogne schimmert geheimnisvoll aus den Wäldern, und rundherum steigen durchsichtige Nebelschleier gegen den immer heller werdenden Himmel. Argentat empfängt uns mit Marktbetrieb und genügend Wärme, um am alten Kai bei einem verspäteten Morgenkaffee etwas Sonne zu tanken. Heute freuen wir uns auf die bevorstehende Tagesetappe, soll sie doch bis Castelnau ausschließlich entlang der Dordogne führen. Bald aber werden wir merken, daß wir uns mit dieser Route ins Out begeben haben. Von einer anmutigen Flußlandschaft kann nicht viel die Rede sein; Bäume und Sträucher an der Uferböschung verhindern jede Aussicht, und nur gelegentlich werden an einigen Plätzen Blicke auf veralgtes Wasser möglich. Trotzdem liegt über dem Tal der Reiz fruchtbarer Üppigkeit. Davon zeugen blühende Gärten und Obstbäume unter der Schwere ihrer süßen Last und köstlicher Lindenduft weht uns allenthalben um die Nasen. Die wenigen Häuser im zusehends enger werdenden Tal erinnern an Gehöfte mit Tennenauffahrten zum Dachgeschoß; vielleicht sind oder waren es ja auch Bauernhöfe, nur - wo breiten sich die dazugehörigen Wiesen und Äcker? Die bäuerlich wirkenden Anwesen zeichnet eine massive Steinbauweise aus mit kolossigen Fenster- und Türstürzen und Mauern, deren anheimelnde Patina von ungezählten Sommern und Wintern erzählt. Kurz vor
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