Mit Jockl nach Santiago
Beaulieu-sur-Dordogne weitet sich das Tal wieder, die schroffen Felswände der letzten Kilometer treten zugunsten einer fast lieblich zu nennenden Flußlandschaft zurück. Kein Baum hindert den herrlichen Blick vor uns: am rechten Ufer der Dordogne kuschelt in einer kleinen Flußbiegung das ultimative Motiv für Waldmüller und Co: Beaulieu-sur-Dordogne, ein lauschiges Fleckchen Erde mit dem unvergleichlichen Flair stehengebliebener Zeit. Aus dem Grün der umliegenden Baumlandschaft blitzen uns ihre roten Ziegeldächer keck entgegen. Erstmals wird es uns auch wieder richtig bewusst, daß die bislang »dunklen« Orte aus Lavagestein den Gegenden vergangener Tage angehören. Mit der leichten, heiteren Landschaft, wie sie die Dordogne umgibt, harmoniert der hier allerorts übliche ockerfarbene Sandstein auch einfach besser. Deshalb leuchten Häuser beziehungsweise ganze Ortschaften bei Sonnenlicht auch golden und warm, und selbst bei Schlechtwetter vereitelt eine freundliche Helligkeit das gänzliche Einschleichen einer grauen Regenverdrießlichkeit. Gerade Beaulieu bietet uns nun ein ideales Beispiel dafür; dicke Wolkenballen schieben sich über das Tal und Wind vertreibt das bißchen vorhandene Wärme endgültig, trotzdem macht das Städtchen bei unserer Einfahrt einen so gewinnenden, sonnigen Eindruck, daß wir kurzerhand unsere Pläne über den Haufen werfen und gleich hierbleiben. Morgen ist schließlich auch noch ein Tag. Der Rest des heutigen gehört jedenfalls Beaulieu, seinen mittelalterlichen Fassaden, den leeren Gassen und hauptsächlich der sehenswerten romanischen Abteikirche Saint-Pierre mit ihrem traumhaften, figuralen Südportal.
Praktisch fast mitten im Ort, auf einer Insel im Fluß, befindet sich der Campingplatz, und wir genießen dieses seltene Integriertsein, da diverse Campingplätze im allgemeinen meist irgendwo zwischen Ortsrand und Wüste angesiedelt sind. Ein Ehepaar aus Erding auf Kanutour durch Frankreich freut sich, mit Jockl einem Stück Heimatblech zu begegnen, und wir nutzen die Möglichkeit unsere Ohren endlich wieder mit vertrautem Heimatjargon zu verwöhnen. Mal kein elegant changierendes: »Bonjour!« sondern ein resches: »Griaß aich, wos dazn ia do mit an Eicha? - Saz oba net vu Erding do obagfoan? - Scho!? Jo gibts des a!« Das gibt es, doch bald glauben wir es selbst kaum mehr, wenn die Leute so extrem erstaunt reagieren und manche so von den Socken sind, als wären wir mit einer Boeing auf den Landstraßen unterwegs.
Langer Regen in der Nacht und gegen Morgen, so schaffen wir es natürlich nicht, das Zelt trocken einzupacken. Mit der ständigen Bedrohung über unseren Köpfen, gleich wieder unter der Dusche zu stehen, stopfen wir alles Nasse in Plastiksäcke und pressen den unförmigen Packen in die Kiste. Die Feuchtigkeit steckt in allem, und auch der Jockl wiehert beim Starten wie ein kranker Ackergaul, ehe sein Motörchen endlich in Gang kommt. Ein paar Meter weiter suchen wir bereits wieder einen Parkplatz - Wochenmarkt in Beaulieu, da kommen und wollen wir nicht daran vorbei. Die ganze Stadt ist auf den Beinen; der Mensch steht im Mittelpunkt, während der unvermeidliche Verkehr sich in auffälliger Geduld und ohne Hupkonzert durch die Hauptstraße quält. Bauern der Umgebung bieten an, was ihre Härten, Ställe und Bienenstöcke hergeben. Das Straßenbild prägen tratschende Männer mit Taschen und Körben voll frischem Gemüse und goldbraunen Brotlaiben unter den Armen, während Frauen bei Metzger und Bäcker Schlange stehen und dabei den allerneuesten Stiegenhausklatsch austauschen. Bestimmt mischen sich genügend Marktbesucher nicht aus Konsumgründen unters Volk, sondern nützen den allgemeinen Massenauflauf, um Bekannte zu treffen, ein Schwätzchen zu halten, einen Freund zu einem Glas Wein oder einem Cognac zu überreden oder ganz einfach den eigenen vier Wänden zu entrinnen. Für uns die beste Voraussetzung, die Merkmale des typischen Franzosen zu studieren, wofür allein schon das Aufgebot einer Altherrenriege rund um unseren Jockl genügen würde. Kaum abgestiegen, sieht er sich im Nu von der rüstigen Seniorenschaft der Stadt umzingelt und ist es immer noch, als wir gegen Mittag zurückkehren. Eingehend mustern sie ihn von vorne bis hinten und verlangen ihren gichtigen Knochen auch mal eine Kniebeuge ab, um Jockl sozusagen unter den Blechrock zu schauen. Bevor die Begutachtung denn doch zu handgreiflich wird, durchbrechen wir den Ring der Schaulustigen
Weitere Kostenlose Bücher