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Mit Jockl nach Santiago

Mit Jockl nach Santiago

Titel: Mit Jockl nach Santiago Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heide Fürböck
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Pilgerrefugio am Ortsrand. Dort wimmelt ein wahrer Ameisenhaufen aus Pilgern - die Herberge erstickt förmlich im Andrang von Unterkunftssuchenden. Statt in den Räumen und Gängen dem Tod durch Zerquetschen und Zertreten entgegenzusehen, schlagen wir auf der Wiese vor dem Refugio unser Zelt auf und begnügen uns mit der Benützung der Waschräume, die ein so verheerendes Bild bieten, als wär eben erst ein Tornado darüber hinweggewirbelt. Auch die Gestalten, die hinter den Duschvorhängen zum Vorschein kommen, sehen ganz danach aus - ja, der Camino fordert Tribute!
    Des Nächtens regnet es, wovon am Morgen noch über den Bergen hängende Wolken zeugen. Im Refugio rührt sich zu hahnenkrähender Stunde erstes Leben. Frühstück wird gerührt und gebraten mit Müsli und Spiegeleiern, je nach Geschmack. Schlafzerknitterte Gestalten mit strubbeligen Haarschöpfen und verquollenen Gesichtern wanken durch das Matten-Säcke-Töpfe-Chaos und ein Stimmengewirr wie zu Babels Turmbauzeiten ersetzt jeden Radiowecker. Aus den Massen formieren sich schließlich verschieden große Gruppen, die wie Regimenter zum Abmarsch antreten. Wir liegen noch im Zelt, bis die letzten Tritte im nassen Gras verstummt sind, dann erst werden wir aktiv. Der Refugio-Putztrupp rückt an, um sich über die Verwüstungen des Pilger-Tornados herzumachen. Und während drinnen die Schrubber ganze Arbeit leisten, schleppen wir unseren Hausstand zum Jockl, den wir ein ganzes Stück oberhalb der Wiese so ganz allein stehen lassen mußten, da man uns die einzig mögliche Zufahrt durchs Gras nicht erlaubte. Das nächtliche Alleinsein quittiert der gute Jockl mit einem Riß in der linken vorderen Kotflügelhalterung. Was werden wir heute demnach suchen? - Richtig, eine Werkstätte!
    In der Dorfbar von Triacastela holt uns die gestrige Nachmittagsbegegnung wieder ein; am Tresen liegt eine heutige Ausgabe des »El Progreso« mit einem halbseitigen Artikel über die »tractor peregrinos« (Traktor-Pilger). Schlagartig fühle ich mich wider Willen ins Rampenlicht gezerrt, und im ersten Moment steht mir der Sinn eher nach einem Mäuseloch als nach einem Kaffee in der Öffentlichkeit. Gott sei Dank bleiben wir während unser vormittäglichen Fahrt menschlichen Besiedlungen so gut wie fern. Die grüne Landschaft Galiciens wirkt beruhigend und lenkt mich ein wenig ab. Die weitaus größere Ablenkung kommt jedoch mit Samos. In einer Flußbiegung des Río Sarria, mitten in einem üppig-grünen, engen Tal, liegt riesig und behäbig wie eine halbe Talsperre das Benediktinerkloster San Julián de Samos. Seit über 1300 Jahren stehen an dieser Stelle Klostermauern; die heutigen, ältesten Gebäudeteile stammen noch aus dem 10. Jahrhundert, der überwiegende Rest strotzt in einer erdrückenden barocken Monumentalität des 17. Jahrhunderts. Natürlich wollen wir einen Blick in diesen, von außen recht düster wirkenden, Komplex werfen, treten durch die Klosterpforte und lassen uns kurzerhand von einem wohlgenährten Ordensbruder zu einer Führung einteilen. Nach einer angemessenen Zeit des Wartens erscheint ein weiterer Bruder und holt uns halbe Dutzendschaft zum Rundgang ab. Unser Führer, ein kleines, fast zierlich zu nennendes Männchen, in den Sechzigern vielleicht, mit drahtigem, beschwingtem Gang, grinst das schalkhafteste Lächeln, das in diesen geheiligten Hallen nur verboten sein kann; er allein lohnt bereits das Eintrittsgeld. Aus seinem asketischen Haarkranzschädel funkeln zwei dunkle, lebendige Augen, und wüchsen ihm über der kantigen Stirn zwei knotige Erhebungen, er wär die ideale und »ultimative« Verkörperung eines frechen, kleinen Teufels. Spontan, gewandt, unkompliziert, spitzbübisch und den Menschen von draußen herzlich zugetan - alles in allem die besten Eigenschaften, um in einer Betbruderschaft als schwarzes Schaf Karriere zu machen. Der Saum seiner braunen Kutte wippt unter seinen Schritten wie beim Tanz, und seine Hände sprechen die Sprache seines Mundes: klar und prägnant, mal auffordernd, mal besänftigend oder distanziert. Und dieser energiegeladene Mann mit seinem sprühenden Lachen, seinem erstaunten Stirnrunzeln über blitzenden Beelzebub-Blicken und seinen liebevollen Gesten soll sein Leben hinter strengen Klostermauern verbracht haben? Naja, als ganz so entsagungsreich lernen wir das Kloster Samos nun doch nicht kennen. Im Gegenteil, in seinem Inneren lebt es sich, wie es scheint, ganz angenehm. Im großen Kreuzgang - einen kleinen

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