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Mit Jockl nach Santiago

Mit Jockl nach Santiago

Titel: Mit Jockl nach Santiago Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heide Fürböck
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besonderen Stellenwert genießt. In Villafranca machen wir vor der Überquerung der Cebreiro-Berge eine größere Pause. Bei unserem Stadtrundgang finden wir das meiste unverändert. Am Zusammenfluß von Río Gurbia und Río Valcarce lebt der Ort in und neben seiner großen Vergangenheit ein beschauliches Kleinstadtdasein. Auf bekannten Pfaden - den parkenden Jockl nahe der Markgrafenburg zurückgelassen - suchen wir die jakobäischen Sehenswürdigkeiten auf, unter anderem die romanische Santiagokirche. Sie galt besonders für all jene Pilger als erstrebtes Ziel, die wegen Krankheit oder nahen Todes einer Weiterreise nach Santiago de Compostela nicht mehr gewachsen waren; ihnen wurde hier an Ort und Stelle bereits voller Sündenablaß gewährt. Neben der Kirche, wir staunen nicht schlecht, hat in den Jahren unserer Abwesenheit das vormals aus Wellblech, Karton und Planen recht und schlecht zusammengenagelte Pilgerrefugio steinerne, sauber verfugte Außenmauern gewonnen und ist nun auf dem besten Weg, eine respektable Unterkunft zu werden. Nur rundherum herrschen nach wie vor slumartige Zustände, die einen müden, hungrigen Pilger mit Sonnenbrand und wunden Füßen allerdings kaum stören werden.
    Von der hochgelegenen Jakobskirche wandern wir in die Stadt mit ihren herrschaftlichen Häusern hinunter, leider etliche davon in bedauerlichem Zustand. Ansonsten erfreut sich das Städtchen mäßiger Betriebsamkeit, auch leidet es nicht, wie so viele andere Orte, an Überalterung der Bevölkerung, Vor- und Nachpupertäres zieht Hand in Hand durch die Gassen oder trifft sich auf Plätzen und in den Bars. Somit bleibt uns Villafranca in guter wie anstrengender Erinnerung, als wir uns wieder zur Burg hinaufmühen und weiter auf der NIV unsere Bergetappe starten.
    Ein unbeleuchteter Tunnel öffnet den Zugang zum Tal des Río Valcarce. Hier rücken die Berge enger zusammen und bieten in ihrer massigen Urwüchsigkeit die Kulisse einer mittelalterlichen Landschaft, deren spärliche Siedlungen sich hinter knorrigen Bäumen verstecken oder von kriechenden Schatten einer aufziehenden Bewölkung verschluckt werden. Pereje, Trabadelo und La Portela heißen die Orte im Tal; beim letztgenannten beginnt allmählich die Steigung, die in weiterer Folge bis ins Quellgebiet des Río Valcarce und hinauf zum Pedrafita-Paß führt. Nach der Ortschaft Vega de Valcarce engen die umliegenden Berge das Tal zusehends ein, bewacht von der Burgruine Sarracin, deren Gemäuer von einem Fels hoch über der Straße und dem Río Valcarce zu uns herunterdüstert. Es hat zu nieseln begonnen, und wir ziehen die Köpfe ein, während Jockl brav seine Höhenmeter macht. Die reiche Vegetation ringsherum vermittelt bereits einen ersten Vorgeschmack auf das grüne Galicien, das wir nach zweistündiger Fahrt einen halben Kilometer vor der Paßhöhe letztlich auch erreichen; gleichzeitig wechseln wir von Leon nach Lugo, der ersten der beiden Provinzen, durch die der galizische Jakobsweg seinen Verlauf nimmt.
    Ort und Paß von Pedrafita liegen auf 1109 m Höhe, damit haben wir eine der im Mittelalter gefürchtetsten Bergbarrieren auf dem Camino fast überwunden. Mangels Wärme marschieren wir für ein heißes Gebräu in die nächste und einzige Bar dieses fürchterlichen Kaffs. Doch die betrübliche Plastikstuhlatmosphäre dieser Lokalität siegt selbst noch über die öde Nieseligkeit von draußen. Also nehmen wir mit den feuchten Jockl-Sitzen wieder vorlieb und begeben uns in noch etwas höhere Regionen, indem wir die Abzweigung nach Cebreiro einschlagen. Kaum liegen die ersten Kurven hinter uns, stoßen wir bereits an die Wolkenuntergrenze und tauchen Augenblicke später völlig in das Wolkendickicht ein, in dem wir uns wie in einem abgeschlossenen hellgrauen Raum bewegen. Die Sicht endet keine zehn Meter vor Jockls Motorhaube, und wir fühlen uns dabei wie ausgegrenzt, bar jeder Orientierung. Doch solange wir Asphalt unter uns spüren, folgen wir dem festen Untergrund ins Ungewisse. Ha, welch ein befremdliches Feeling, als einzige Bewohner einer 20 m-Durchmesser-Welt zu existieren. Cebreiros eigene Witterung, seine Regen, seine Nebel und Wolken waren und sind noch immer gefürchtet. Einen kleinen Geschmack dessen wird uns hier zuteil. Jockls Motorhaube befindet sich ständig auf Kollisionskurs gegen eine vermeintliche Wand dichtesten Nebels, einem ungreifbaren Nichts. Grund genug, um uns wie Schnecken fortzubewegen; und wie gut, daß jetzt auch unsere Blinkbeule

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