Mit Jockl nach Santiago
funktioniert und wie ein Glühwürmchen in finsterer Nacht auf unsere Anwesenheit aufmerksam macht, sollte sich uns jemand in dieser undurchdringlichen Wattigkeit unverhofft nähern. Erst in letzter Sekunde bevor wir daran vorbeifahren, sichten wir die Abzweigung zum Ort Cebreiro. Ahnungslos über unsere Umgebung knattern wir weiter; Jockls Gedröhn, wie auch unsere Stimmen, klingen unwirklich gedämpft, teilweise wie vom Nebel verschluckt. Irgendwann lichtet sich die Wand und dunkle, unscharfe Umrisse von Gebäuden beginnen sich abzuzeichnen - endlich Cebreiro! Und als seien wunderliche Geschehnisse in Cebreiro auch fast 500 Jahre nach dem sich hier zugetragenen Abendmahlwunder noch obligat, reißt plötzlich dicht neben der Straße, hinter den Leitplanken, das Nebelgrau ein wenig auf - und sagenhaft - wie durch ein verbotenes Schlüsselloch lugen wir ins galicische Paradies hinab, auf grüne, unter sonnigen Lichtflecken funkelnde, regenfrische Wiesen und Wälder. »Schnö, schau, schau!« - »I hoits net aus!« Zu mehr reicht unser beider Kommentar nicht, denn dann schieben sich neue Nebelschwaden vor dieses wie gezauberte Bild. Sollten wir jedoch in Cebreiro abgelegenes Eremitendasein vermuten, sehen wir uns spätestens bei den Horden anwesender Pilger und Radler um unsere Einsamkeitserfahrung betrogen. Verständlich, denn Cebreiro gilt nicht umsonst als unübertroffener landschaftlicher, kultureller und jakobäischer Höhepunkt auf dem Camino. Der denkmalgeschützte Ort vermittelt durch seine enggewachsene Einheit aus rund zehn Häusern ein authentisches Bild eines typisch galizischen Bergdorfes. Einige ovale, strohgedeckte Steinhütten - »pallozas« genannt - erinnern noch an den keltischen Ursprung der Siedlung, deren Mittelpunkt eine schlichte vorromanische Kirche stellt, nachdem sie eine behutsame Restaurierung zur absoluten Sehenswürdigkeit geliftet hat. Ich fürchte nur, daß durch die touristische Vermarktung des Jakobsweges das kleine Cebreiro auf Dauer Schaden nehmen wird und es möglicherweise zu einem spanischen Miniatur-Altötting verkommt. Ein weiteres Wunder, wenn dem nicht so wäre!
Wir lassen das bunte Gewurle eintopfkochender Jugendgruppen vor der Kirche zurück und begeben uns wieder auf Kriechfahrt einer weiteren Paßhöhe entgegen. All unsere Aufmerksamkeit gilt der Nebelsuppe, aus der gelegentlich aus seitlichen Wegen Pilger auftauchen und die Straße kreuzen. Mehr als einmal klaffen die grauen Massen vor und neben uns auseinander und geben herrliche Ausblicke in weite Täler von ungewöhnlicher Plastizität frei. Vereinzelte Sonnenstrahlen wandern wie Lichtkegel einer Taschenlampe über das Landschaftsrelief und liefern dabei mitunter brillante Stimmungen. In einer letzten Hürde zum 1337 m hohen El Poyo haben wir den höchsten Punkt des Cebreiro-Kammes erreicht; ab jetzt geht es in einem ständigen Bergab nach Triacastela hinunter.
Nach wie vor tuckern wir im abgeschotteten Raum unseres Nebelrunds dahin, als ein entgegenkommender Kombi unsere Abgeschiedenheit durchbricht und uns zum Halten veranlaßt. Wie sich nach längerem Hin und Her rausstellt, haben wir in dem rasch entstiegenen Herrn Victor Lopez Villarabid, einen Mitarbeiter des galizischen Nachrichtenblattes »El Progreso« vor uns, welches der Herbergsvater des Pilgerrefugios von Cebreiro von der Anwesenheit zweier eigenartiger Vögel mit Traktor informiert hat; er meinte, das gäbe genügend Stoff für ein kleines Artikelchen in der Regionalzeitung. Und da nur eine einzige Straße ins Tal führt, waren wir trotz des Nebels ein leicht zu findendes Fressen für den wißbegierigen, pfiffigen Herrn von »El Progreso« aus der rund 35 Kilometer entfernten Stadt Sarria. Mehr als nur belustigt und mit der Sicherheit, in der Spalte für »Verrücktes« abgedruckt zu werden, setzen wir nach einem umfassenden Langenscheidt-Interview unsere Talfahrt fort. Doch nicht lange und wir stehen erneut am Straßenrand; ein stockbegeisterter Herr aus Madrid hat uns mit seinem Auto ausgebremst und nimmt sich ordentlich Zeit für ein ausführliches englisch-spanisches Frage-Antwortspiel und betont dabei immer wieder die Einmaligkeit unseres Unternehmens: »Primero! Primero! Never seen before!«
Nur langsam läßt uns der Nebel aus seinen Schleierfangen. Dann aber klärt sich die Sicht zusehends, Sonne wärmt die Luft und unsere klammen Pfoten. In Triacastela fahnden wir umsonst nach einem Campingplatz; als Ersatz verweist man uns ans örtliche
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