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Mit Jockl nach Santiago

Mit Jockl nach Santiago

Titel: Mit Jockl nach Santiago Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heide Fürböck
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auch einen Wahnsinnigen, der mit 80 Kilometer auf Straßen und über offenes Gelände von sich Reden machte, mit Gepäck versteht sich. Zunächst schockierte mich diese Vorstellung regelrecht, ließ mich letztlich und insgeheim nur kopfschüttelnd an die Stirne tippen. Solche als Fitneßmaschinen getarnte Masochisten oder verhinderte Olympia-Anwärter täten besser daran, sich irgendwo im Ural die Kutteln aus dem Leib zu hecheln oder ein paar Selbstfindungskurse zu belegen. Andere Teilnehmer am Run der Santiago-Lemminge interpretieren den Aufenthalt am Camino als verlängerten Schulausflug, genauso ungestüm und dämlich in Sprache und Benehmen treten sie in Erscheinung und nerven mit clownesken Faxen und überheblichen Kommentaren, ja und dann gibt’s noch Leute, die zeigen überhaupt keinen Sinn für Traditionen und mißbrauchen die Jakobsroute einfach aus Spaß am Unterwegssein und noch dazu mit einem derben Landwirtschaftsfahrzeug. So etwas muß man gesehen haben, sonst glaubt man es nicht! Und mit eben dieser Freud’ am Reisen machen wir uns an die letzten Meilen. Wird auch Zeit, bevor wir auf den eigenen Schweißbächen von den Stühlen rutschen und in der stehenden Hitze ersticken.
    Eine hervorragend ausgebaute Rennpiste von dichtsamtener Asphaltqualität teilt die Landschaft wie ein breiter, dunkler Fluß, links und rechts davon lockerer Bewuchs von Eukalyptus und anderes Laubgehölz. Entlang dieser N547 registrieren wir seit Puente la Reina auch die meisten Veränderungen entlang des Caminos. Viele Neubauten, darunter Ultramodernes, Pilgerherbergen, Restaurants und Hotels. Jedenfalls alles für den Pilger gehobeneren Standards, den Schnupper- oder Weekendpilger, der nach einem beinhart absolvierten 40-Kilometer-Trekking seine Büroläufe in der gediegenen Lounge eines Hotel-Refugios ausstrecken möchte, um bei einem guten Glas Port im Kreise seiner Survival-Weggefährten das Abenteuer am Camino Revue passieren zu lassen.
    Lange Streckenabschnitte erkennen wir nicht wieder, als sähen wir sie zum ersten Mal, und ab Lavacolla nimmt auch der Verkehr schlagartig zu. Früher war dies der Ort, in dem sich die Pilger einer umfassenden Waschung unterzogen, um praktisch nicht nur innerlich, sondern auch äußerlich gereinigt dem Ziel entgegenzuziehen; heute befindet sich hier Santiagos Flughafen. Wir genehmigen uns im Ort noch einmal eine Pause zum Sinnesammeln, bevor wir endgültig in Santiagos Glorienschein eintauchen. Vom Café am Fuße eines Hügels, in das wir uns wie Wüstenwanderer in die Oase retten, führt durch eine Platanenallee ein breiter Treppenaufgang zu einer Kapelle. Auf den schattigen Stufen lagert eine Jugendgruppe wie leblose Opfer nach einer Bombenexplosion in tiefstem Siestaschlummer und sammelt Kräfte für eine letzte Steigung zum Monte del Gozo, wo ein erster Blick auf die Türme von Santiago alle Strapazen vergessen hilft. Was wohl zu mittelalterlichen Zeiten Heerscharen von Pilgern aus ganz Europa bei diesem Anblick gedacht bzw. empfunden haben? - Welchen Anstrengungen, welchem Leid waren sie ausgesetzt, bis sie das hehre Bild der geheiligten Stadt in sich aufnehmen konnten? - Für welche Bitten wurden Gelübde abgelegt, die hier Erfüllung fanden? - Und für welche Sünden und Gesetzesbrüche wurden Strafen verhängt, die in einem viele Monate dauernden Marsch durch fremdes Land, stets am Rande der Erschöpfung und des Existenzminimums und den Gefahren von Raub und Mord ausgesetzt, gesühnt wurden? - Welches Glück ließ ihre leichtgewordenen Herzen hüpfen und ihrem Gott für die Gnade dieses Erlebens danken? - Und wieviele ausgebrannte Kreaturen fanden unter den Entbehrungen der Pilgerschaft gerade hier den Tod und nahmen das Bild Santiagos mit auf ihre allerletzte Reise oder starben auf dem Rückweg, der mit Sicherheit nicht minder anstrengend und gefahrlos war.
    Wir hingegen betrachten unser Ziel weit weniger gerührt, sondern eher als Resultat einer guten Vorbereitung, gepaart mit einer ordentlichen Portion Glück. Die Lorbeeren hingegen erntet heute Jockl, unser bestes Pferd im Stall. Lobend tätscheln wir ihm sein stumpfes Blech, als wir nach Santiago hinunterrollen. Entgegen allen üblen Prophezeiungen hat er es geschafft! Ein Eicher-Veteran im äußersten Westen Nordspaniens, das hat Seltenheitswert, vor allem nach einer Anreise von über 4.000 Kilometern im 15-Stundenkilometer-Durchschnittstempo!
    Wir folgen der Straße bis zum Stadtrand und schlagen dort altbekannte Wege ein.

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