Mit Jockl nach Santiago
wollen.
Und so verbringen wir angenehme und weniger angenehme Stunden in Santiago, die nach einem Zitat des französischen Geistlichen und Pilgers Aymeric Picaud »als die glücklichste und glorreichste aller Städte Spaniens angesehen wird«; vor rund 800 Jahren mag das vielleicht wirklich noch so gewesen sein.
Wer interessiert sich am vorletzten Tag unseres Aufenthalts wieder für uns? Natürlich die Presse. Gegen Abend klopft ein für Santiago zuständiger Pilgerbetreuer in Begleitung zweier Frauen bei uns an. Die jungen Damen - französische Campingurlauberinnen, die freundlicherweise die englisch/spanische Verständigung dolmetschen - fragen in seinem Namen, ob wir mit einem kleinen Interview für das Tagblatt »El Correo Gallego« einverstanden wären. Komplizierter geht es bald wirklich nimmer. Aber nichts einfacher als das, schließlich besitzen wir in diesem journalistischem Frage-und-Antwort-Spiel inzwischen ja einige Praxis. Eine Viertelstunde später trifft auch schon eine Mitarbeiterin der Zeitung ein, notiert die übersetzten Antworten ihrer Fragen und rauscht anschließend mit einigen Fotos in der Kamera, berufsgehetzt, von dannen - Auftrag erledigt! Schon am nächsten Morgen weiß ganz Santiago von der Anwesenheit eines Eicher-Traktors und seinen begleitenden »dos austriacos«.
VII. Portugiesisches Intermezzo!
54 Fahrstunden: Galicien - Trás-os-Montes e Alto Douro (Nordportugal)
Endlich brechen wir unser Lager wieder ab und begeben uns nach dem vertrauten Camino wieder auf unbekanntes Terrain. Schleierwolken am Himmel lösen sich vollständig auf, und bald können wir uns eines neuen glutheißen Tages sicher sein. Wir verlassen Santiago auf einer verkehrsreichen Umfahrung der Innenstadt und halten uns an die Beschilderung Richtung Noia. Aus Autos und Geschäften winkt man uns da und dort freundlich zu. Trotzdem fühl’ ich mich wohler, als wir hinter den letzten Vorstadtbezirken in die Ruhe kaum besiedelten Landes eintauchen. Die Luft riecht stark und würzig nach Vollblutsommer, und nur selten sichten wir draußen auf den Feldern menschliche Gestalten bei der Erntearbeit oder schwarzgekleidete Frauen mit Strohhüten, die mit einer Art Sichel das Gestrüpp am Straßenrand kürzen. Als uns niemand mehr Aufmerksamkeit schenkt, beginne ich mich allmählich zu entspannen. Eine undramatische Landschaft, unterbrochen von Eukalyptus- und Kieferwäldern und bunten Blumen- und Obstgärten als unregelmäßige Farbtupfer entlang der Straße, begleitet uns die 35 Kilometer nach Noia. Die geschichtsträchtige Hafenstadt mit dem unsinnig hochtrabenden Beinamen »Klein-Florenz« liegt an der Ríia Muros e Noia, einem der bis zu 30 Kilometer weit und bis zu 600 m tief ins Land eingekerbten Fjorde (»rías«), die Galiciens Küste so markant und herrlich ungestüm zerklüften.
Eine Anhöhe kurz vor der Stadt ermöglicht einen ersten Blick auf den Atlantik, besser gesagt auf die Praia de Testal. Kein sehr einladendes Bild, da im Moment Ebbe herrscht und die Bucht eher einem umgepflügten Kolchosenacker ähnelt. Nichts ist’s mit Meereswogen, auch unser Hoffen auf eine kühlende Atlantikbrise zerschmilzt wie ein Eiszapfen in der Hand. Als befänden wir uns auf abtrünnigen Wegen, so schleichen wir im Schatten der Häuser durch Straßen und Gassen, dabei immer auf der Suche nach schummrigen Winkeln und sonnengeschützten Ecken. Während Wolfgang die Fassaden nach lohnenswerten Fotomotiven abcheckt, entdecke ich einen neuen, wenn auch nur bedingt vergnüglichen Zeitvertreib: Schattenhüpfen! Ich sehe schon, Noias Reize - einige sehenswerte Arkadenhäuser in urig gewachsenen Gassen und die beiden romanischen Kirchen San Martín mit einem herrlichen Portal und Santa María Novo mit alten Grabplatten und Kreuzen - können mich wenig fesseln. Ungerechterweise, denn mit Noia steht man als Besucher gewiß keiner unattraktiven Stadt gegenüber, die neben Schludrigkeit und betonernen Wohnkästen auch ganz gut ihre Schokoladenseite zu präsentieren weiß.
Daß wir den Jakobsweg verlassen haben und uns seither wieder in touristisch durchschnittlich bis unterentwickelten Gegenden bewegen, läßt sich schon bald an schlechten oder gar fehlenden Straßenbeschilderungen erkennen. So behilft man sich vor verwirrenden Wegkreuzungen am besten mit alten Auszählreimen: »Ene mene muh und drauß’ bist du!« - Genau auf diese Weise entscheiden wir uns außerhalb der Stadt für eine Abzweigung in den Süden mit
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