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Mit Konfuzius zur Weltmacht

Mit Konfuzius zur Weltmacht

Titel: Mit Konfuzius zur Weltmacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: S Aust
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ins Gesicht. Als wir sie treffen, ist sie gerade 26 Jahre alt geworden und aus dem Süden in die Hauptstadt Peking gezogen. In ihrer neuen Mietwohnung im Studentenviertel Haidian hat sie die Einrichtung auf das Wesentliche reduziert: eine Matratze, einen Laptop und eine angebrochene Großpackung Kondome. »Mehr brauche ich nicht zum Leben«, sagt sie mit frechem Lachen und verführerischem Augenaufschlag. »Ich habe One-Night-Stands, schreibe darüber und stelle die Texte ins Internet.« Das erste Mal hatte sie Sex mit 21. Diesen Rückstand glich sie in den folgenden fünf Jahren aus. »Beim hundertsten Mann habe ich aufgehört zu zählen«, sagt sie. »Männer sind für mich wie CDs. Ich lege die auf, auf die ich gerade Lust habe. Ich nehme mir die Freiheit, ich entscheide, mit wem ich wann ins Bett gehe.« Wobei »Bett« für alles Mögliche stehen kann. »Einmal trieb ich es mit einem Freund im Taxi. Es war früh am Morgen. Ich ritt auf ihm und genoss den Sonnenaufgang.« Ein anderes Mal hatte sie Sex in einer Kneipe. »Einige Gäste fühlten sich gestört und wechselten das Lokal. Die übrigen Männer nutzten die Gelegenheit zum Gratis-Quickie, einige Frauen schauten zu.«
    Die Regierung hat Mu Zimeis Buch Asche der Liebe (auf Deutsch erschienen unter dem Titel Mein intimes Tagebuch) verboten, doch waren Raubkopien nach dem Erscheinen auf jeder Fußgängerbrücke zu kaufen. An manchen Tagen klickten zehn Millionen Nutzer ihr Internettagebuch an. Im populären Internetportal sohu.com wurde ihr Name zum am häufigsten eingegebenen Suchbegriff.
    Mu Zimei ist Avantgardistin, ihre Freizügigkeit nicht die neue Norm, aber auch kein Einzelfall. »Das Internet spielt heute in China eine wichtige Rolle beim Einfädeln von One-Night-Stands«, sagt Li Yinhe von der Akademie für Sozialwissenschaften, die das Liebesleben ihrer Landsleute untersucht. »Bei meiner Befragung Anfang der 1980er-Jahre hatten nur 15 Prozent Sex vor der Ehe. Heute geben mehr als 80 Prozent vorehelichen Sex zu.« Bis vor einigen Jahren lebten junge Paare in China in der Wohnung der Eltern des Manns – natürlich erst nach der Hochzeit. Heute nehmen sie sich eine eigene Wohnung, egal, ob sie verheiratet sind oder nicht, vorausgesetzt, sie können sich das leisten.
    Der Pekinger Webdesigner Li Peng, 27, und seine Freundin, die Fotografin Xiong Xin, 26, wohnen seit drei Jahren zusammen. »Er sang beim Nationalen Barsänger-Wettbewerb, wo ich fotografiert habe«, erinnert sich Xiong an ihre erste Begegnung. »Er schleppte mich ab. Zunächst ging es in unserer Beziehung nur um Sex, ich hatte zu der Zeit sogar noch einen anderen Freund. Unsere Liebe entwickelte sich erst später.« Li ist der dritte Mann, mit dem Xiong geschlafen hat, sie ist seine elfte Partnerin. Darüber zu sprechen wäre früher noch ungeheuerlicher gewesen als der Fakt selbst. »Vielleicht werde ich eines Tages heiraten, um meine Eltern zu beruhigen«, sagt die junge Pekingerin. »Für meine Sicherheit brauche ich das nicht.«
    Von der Hochhauswohnung des jungen Paares bis zur Hütte von Opa Qi und Oma Yang fährt man 190 Kilometer. Es ist eine Fahrt von der Ära des Internets zurück ins Mittelalter. Gestützt auf einen Stock, humpelt die Großmutter aus ihrem unverputzten Zementbau im 80 Einwohner zählenden Dorf Beigoumen. Als sie 13 war, wurden ihr ihre Zehen unter die Fußsohlen gebunden, bis die Knochen brachen. Die Füße bluteten und eierten, verklumpten unter den Bandagen. Frauen brauchen kleine Füße, so gebot es das Schönheitsideal. Auch konnten sich Ehefrauen mit verkrüppelten Füßen nicht allzu weit vom Haus ihres Mannes entfernen. Die Füße der Greisin sind so winzig wie die eines fünfjährigen Mädchens.
    Die grausame und frauenfeindliche Tradition des Bindens von Mädchenfüßen war zu Zeiten des Konfuzius unbekannt. Auch sie verbreitete sich erst anderthalb Jahrtausende später in der Song-Dynastie, in der Frauen nichts galten und Sex verpönt war. Zwar forderten traditionelle Konfuzianer: Der Untertan muss dem Herrscher gehorchen, der Sohn dem Vater, die Frau dem Mann. Doch fast alle Chinesen und vor allem Chinesinnen, die man heute darauf anspricht, sagen: Die verlangte Unterordnung der Frau unter den Mann ist der damaligen Gesellschaft geschuldet und hat keine Bedeutung mehr für die Gegenwart. Diese Flexibilität zeigt den Vorteil einer Weltanschauung, die sich nicht auf Gottes Gebot beruft.
    Als die jetzt 81-Jährige Oma Yang heiratete, ging es allerdings

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