Mit Konfuzius zur Weltmacht
nun heraus, hat diese Wohnung für ihre Eltern gekauft, und bei denen lebt Cocos Tochter normalerweise. »Wir sind zu sehr mit unserer Arbeit beschäftigt«, erläutert Coco. »Tagsüber haben wir keine Zeit, uns um das Kind zu kümmern. Mein Vater arbeitet noch, aber meine Mutter ist schon Rentnerin. Sie kocht, oft kommen auch wir abends zum Essen vorbei und üben ein bisschen mit dem Kind.«
Was da geübt wird, davon bietet die kleine Claire eine Kostprobe. Sie tanzt zu einem Sprechgesang: »Ich bin wirklich gut. Ich bin noch klein, aber mein Ehrgeiz ist groß. Mama sagt: Ich bin ein gutes Kind. Papa sagt: Ich bin die Fleißigste. Seht nur, ich bin die Beste.« Getreu nach Konfuzius: »Von Geburt an Wissen haben – das ist die höchste Stufe.« Claire ist ein Kind, angespornt von einer Tigermutter, einer Tigergroßmutter und Tiger-Erzieherinnen, das Ziel ist immer der Sieg. Den fordert in China nicht nur die Familie, sondern auch der Staat. Aus dem gleichzeitig laufenden Breitbildfernseher rieselt Dauerpropaganda: Chinesen im Weltall, Jungpioniere und Stahlarbeiter mit geballter Faust, revolutionäre Kämpfer während des Bürgerkriegs.
Chongqing ist diesbezüglich extrem: Der lokale Parteichef Bo Xilai hat Werbung im lokalen Fernsehen verboten und lässt in den Pausen stattdessen kommunistische Erbauungslieder singen, um so die Solidarität der Menschen untereinander zu fördern. Eine ganze Bewegung hat er dafür ins Leben gerufen, Zehntausende plärren in Parks rote Kampfgesänge. Ob er sich dabei von Konfuzius inspirieren ließ? Der hatte gesagt: »Die Lieder regen an, sie schärfen den Blick, stärken den Gemeinschaftssinn und sind hilfreich bei Kummer und Unzufriedenheit.« In anderen Teilen Chinas wird der Chongqinger KP-Chef dafür allerdings belächelt. Die in Guangzhou erscheinende Zeitung Südliches Wochenende , bekannt für ihre kritischen Berichte, spottete: »Was die ›Therapie durch rote Lieder‹ bei psychisch Kranken betrifft, so haben sich die Erfolgsmeldungen auch schon als übertrieben oder falsch herausgestellt.«
13 Millionen SMS mit Zitaten von Mao schickte Bo Xilai in den letzten Jahren an die Bürger Chongqings. Er gehört dem Politbüro an. Ihm werden große Ambitionen nachgesagt, die er durch den roten Kult befördern wolle. Er ist Sohn des Revolutionsführers Bo Yibo. Auch diese Kampagne zeigt die Widersprüche im neuen China: Der Chongqinger Parteichef lässt Loblieder auf Mao singen – doch er selbst saß unter Mao fünf Jahre im Gefängnis und musste weitere fünf Jahre Zwangsarbeit leisten, weil sein Vater zu den Rivalen des »Großen Vorsitzenden« gehörte. Der Vater selbst wurde während der Kulturrevolution gefoltert, die Mutter von Rotgardisten erschlagen. Sollte es dem von Konfuzius empfohlenen Betragen entsprechen, Konflikte um der Harmonie willen nicht offen auszutragen, dann ist Chongqings KP-Chef ein Meister darin.
Vielleicht braucht es solche Eigenschaften, um es an die Spitze der größten Stadt der Erde zu bringen. Sie ist im Zeitraffertempo gewachsen und ein Ende nicht abzusehen. Chongqing, eine Stadt mit 32 Millionen Einwohnern – und einem komplizierten Namen. Es hilft nichts: Man wird ihn sich merken müssen.
Chinas sexuelle Revolution
Hinter der Glasvitrine steht ein Tongefäß, verziert mit Darstellungen von Klitoris und Vagina – 3000 Jahre vor unserer Zeitrechnung. Ein Jahrtausend später, also auch noch 2000 Jahre vor Christus, entstanden Phallusse aus Jade und Stein, die gleich daneben zu besichtigen sind. Ein Gemälde aus dem 16. Jahrhundert nach Christus zeigt ein junges Mädchen, das seinen lesenden Liebhaber im Garten stimuliert. Ein vergoldeter Buddha hat Geschlechtsverkehr mit einer Frau, die auf seinem Schoß sitzt, die Statuette stammt aus dem 17. Jahrhundert. Öffnet man eine Melone, sieht man ein Paar, das es beim Baden miteinander treibt – das Porzellanstück gehörte im 19. Jahrhundert zur Mitgift der Braut, so sollte sie ihre ehelichen Pflichten und Freuden kennenlernen.
In fast allen Epochen seiner Geschichte war China freizügiger als der Westen. Von der Periode, die mit der Revolution 1949 begann, lässt sich das allerdings nicht behaupten. Das maoistisch-stalinistische System wollte, wie sein Vorbild, die Sowjetunion, kommunistische Parteisoldaten, keine lustbetonten Menschen. Das ist auch der Grund dafür, warum das Sexmuseum von Shanghai, in dem all diese Kunstgegenstände zu sehen sind, nicht mehr in der Metropole selbst liegt.
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