Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Mit Kurs auf Thule

Mit Kurs auf Thule

Titel: Mit Kurs auf Thule Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kirsten A. Seaver
Vom Netzwerk:
Kleidung und die Sitten und Gebräuche der Eskimos übernahmen, leuchtet schon ganz allgemein kaum ein, und sie wird grotesk, wenn wir uns eine nordische Frau vorzustellen versuchen, die sich nur mit einem
natit
(ein Bekleidungsstück, das in traditionellen Inuit-Gesellschaften von Erwachsenen im Hause getragen wird) bekleidet der Zubereitung des Essens widmet oder in schwere Pelze gehüllt melkt oder Butter macht. Sicher waren weder ihr noch ihrer Familie Pelze fremd, doch meist nutzten die Nordmänner warme und bequeme Kleidungsstücke aus selbstgesponnener Wolle, die
vadmál
genannt wurden – ein Produkt weiblicher Handwerkskunst und unermüdlicher Arbeit, auf das sich Isländer und Grönländer für ihre eigenen Bedürfnisse wie auch für den Export verließen. Im Nationalmuseum in Kopenhagen zeugen bemerkenswert gut erhaltene mittelalterliche Kleidungsstücke aus Grönland von den Fähigkeiten und dem Ideenreichtum, die eine Grönländerin zu investieren bereit war, um modische Bekleidung für sich selbst, ihren Ehemann und ihre Kinder zu schaffen. Einen großen Teil der Zeit, die sie im Haus verbrachte, stand sie an ihrem Webstuhl, und praktisch überall, wo sie sich befand, füllte sie »müßige« Zeit mit Spinnen aus. Ihre Arbeit hätte sich sicher nur dann von Grund auf gewandelt, wenn die Haustiere verschwunden wären, die die meisten Rohmaterialien lieferten. Eine »Anpassung« an die Lebensweise der Eskimos hätte auch entsprechende Verschiebungen in den Tätigkeiten der Männer miteinbezogen.

Der Umgang mit Brennstoffen
    Man hat den grönländischen Nordmännern auch einen völlig übertriebenen Verbrauch von Brennstoffen vorgeworfen, etwa beim Kochen von Wasser, um die zur Milchwirtschaft benutzten Gefäße zu sterilisieren. 19 Glücklicherweise wussten sie durchaus, wie sie ihre natürlichen Ressourcen und ihre eigene Arbeit am besten nutzten. Eine Hausfrau erhitzte Steine im Feuer und warf sie in den Kessel, um den Inhalt am Kochen zu halten. Um die Holzgefäße für Milch |60| und Milchprodukte zu reinigen, verwendete sie – wahrscheinlich zusammen mit Sand zum Schrubben – kaltes Wasser, weil sie sicher wusste, dass heißes Wasser das Holz dunkeln lässt und das Milcheiweiß dadurch gerinnt und am Gefäß klebt. Die sauberen Gefäße und Utensilien wurden dann in die Sonne gestellt, um sie nach althergebrachter Art zu sterilisieren.
    Wie in Kapitel Eins festgehalten, herrschte bei den Grönländern keine Knappheit an Holz als Brennstoff. Daneben verwendeteten sie den in großen Mengen verfügbaren Torf, während die Öllampen aus Speckstein, die auf den Hofstätten gefunden wurden, zeigen, dass man genau wie anderswo in Europa zu jener Zeit Öl und Waltran nutzte, um Licht und Wärme zu spenden. Beides war in den langen grönländischen Wintern sicher unbedingt nötig, wenn Männer wie Frauen im Haus arbeiteten. Ein Großteil der langen Winterzeit wurde auf die verschiedensten Handwerksarbeiten verwendet, doch an den Grabungsstätten finden sich auch Spielsteine, Kinderspielzeug und liebevoll geschmückte Alltagsgegenstände, die von einer leichteren Seite des Lebens erzählen.

Die Gesellschaftsstruktur
    Wie die Isländer hatten sich auch die Grönländer aufgemacht, um sich ohne königliche Einmischung aus Norwegen in einer hierarchisch aufgebauten Gesellschaft freier Männer selbst zu regieren. Ihre Häuptlinge waren natürlich gleicher als andere Männer, und Ehefrauen, Konkubinen und Sklavinnen zählten in den meisten Fällen nicht viel. Dennoch bot das System der Selbstregierung Stabilität und wahrscheinlich auch ein hohes Maß an Teilhabe der Bewohner, nicht die demütige Unterwerfung vieler unter den Willen weniger, wie einige Autoren es heute sehen wollen. Deren Überzeugung nach war die grönländische |62| Gesellschaft der Nordmänner zum Scheitern verurteilt und als »gemeinschaftsbewusst, gewalttätig, hierarchisch, konservativ und eurozentrisch« charakterisiert, Eigenschaften, die ».in Grönland eine besonders extreme Ausdrucksform« fanden. Dies führte dann zu »einer streng kontrollierten Gesellschaft: Die wenigen Oberhäupter der reichsten Höfe konnten verhindern, dass irgendjemand etwas tat, das ihre Interessen zu bedrohen schien; so konnte auch niemand mit Neuerungen experimentieren, die für die Häuptlinge keinen Nutzen versprachen.« 22
    Der einzige Teil dieses Bildes, der irgendwie mit der Realität korrespondiert, ist der Verweis auf die hierarchische Organisation

Weitere Kostenlose Bücher