Mit Kurs auf Thule
wurden.
In beiden Regionen Grönlands, die Eirik vor mehr als einem Jahrtausend erkundete, gibt es an den Enden der Fjorde noch heute üppig grüne Gebiete, die einen krassen Gegensatz zu den Gletschern und den massiven Granitgraten im Binnenland wie auch zum blankgewaschenen Granit der äußeren Küsten bilden. Die Gewässer, die Eirik und seine Gefährten durchfuhren, wimmelten von Fischen, Robben und Walen; auch die Binnenseen waren voller Fisch; im Hinterland beider Regionen gab es Rentiere und kleineres Jagdwild; eine Unmenge von Vögeln versprach Eier, Fleisch, Federn und Daunen. Die natürlichen Ressourcen der beiden potenziellen Siedlungsgebiete unterschieden sich dennoch |39| in einigen Punkten, und diese Unterschiede bezog Eirik auch eindeutig in seine frühen Siedlungspläne mit ein.
In der Westsiedlung, etwa fünfhundert Kilometer nördlich der Ostsiedlung gelegen, waren die Winter härter. Sie hatte weniger Weideland als die Hauptkolonie weiter im Süden, lag aber wesentlich günstiger für einen frühen Beginn jener hocharktischen Jagdexpeditionen, die bald zu einem wesentlichen Teil der Ressourcenausnutzung der nordischen Grönländer werden sollten. Auf diesen arktischen Beutezügen trafen die nordischen Siedler auch zum ersten Mal auf arktische Ureinwohner, zunächst auf Menschen der Dorset-Kultur und dann auf Thule-Eskimos, die Vorfahren der heutigen Inuit. Weiter im Süden, wo die Nordmänner siedelten, stießen weder Eiriks Aufklärungstrupp noch die frühen Siedler auf Einheimische. Sie fanden nur verstreute Reste einer früheren menschlichen Besiedlung, wie Ari in seinem kurzen Bericht festhält. Auf Island, wo den Nordmännern offenbar nur ein paar irische Mönche zuvorgekommen waren, war die Kolonisation ebenso problemlos und ohne Begegnung mit feindlichen Ureinwohnern vonstattengegangen. 14
|42| Das neue Land wird aufgeteilt
In der Ostsiedlung gaben Herjolfs Auswanderergefährten Ketil und Hrafn dem Ketilsfjord und dem Hrafnsfjord ihre Namen, während ein Mann namens Sölvi Ansprüche auf Sölvadale anmeldete und Thorbjörn Glora Land am Siglufjord nahm. Helgi Thorbrandsson gefiel, was er am Alptafjord sah, und Eiriks guter Freund Einar hatte allen Grund, mit seiner Wahl am Einarsfjord, dem nächsten großen Meeresarm südöstlich des Eiriksfjord, zufrieden zu sein. Dort, auf der größten Ebene der ganzen Ostsiedlung, legte Einar seinen Hof Gardar an, der noch nicht einmal anderthalb Jahrhunderte später auch Sitz des grönländischen Bischofs werden sollte. Ein Arm des Einarsfjords wurde nach dem Siedler Hafgrim benannt, der zu Wohlstand gelangte, indem er auch die fruchtbare Region im Landesinneren beanspruchte, die die Nordmänner wegen ihrer vielen Seen Vatnahverfi nannten. Der Häuptling Arnlaug wählte für seine Gefolgsleute den Arnlaugsfjord.
Thorkell der Weitgereiste hatte sich schon Land zwischen Eiriksfjord und Einarsfjord und das ganze Territorium rings um den Hvalseyfjord gesichert. Sein Hof und das umliegende Gebiet wurden nach der Insel Hvalsey (Walinsel) benannt, auf der Thorkell einige seiner Tiere weiden ließ. Als sein Cousin Eirik ihn einmal besuchte und auf dem Hof Hvalsey kein Boot verfügbar war, schwamm Thorkell angeblich die geschätzte Meile bis zu der großen Insel, tötete einen alten kastrierten Schafbock und schwamm mit dem Tier auf dem Rücken zurück. Falls diese Geschichte einen wahren Kern hat, könnte Thorkell vielleicht in dem eiskalten Wasser zu einer Insel näher an der Küste geschwommen sein, die damals größer war als heute nach einem Jahrtausend steigender Wasserstände. Das
Landnámabók
erzählt die Geschichte und bemerkt dazu lakonisch, Thorkell sei ungewöhnlich stark gewesen; allerdings schweigen die Schriftquellen zu der Frage, wie Eirik das Mahl seines exzentrischen Gastgebers schmeckte. Nach seinem Tod wurde Thorkell auf eigenem Grund und Boden bestattet und soll seine Nachkommen als Geist heimgesucht haben, 19 doch konnte er wohl nicht viel Schaden anrichten, denn der Hof wahrte seine Bedeutung unter den nordischen Grönländern. Bis heute ist er weithin bekannt für die eindrucksvolle Kirche aus dem 14. Jahrhundert, deren dachlose Ruine noch immer ihre grüne Umgebung beherrscht und so viele moderne Tourismusbroschüren ziert.
Eine neue Gesellschaft gewinnt Form
Aus der »Saga von den Schwurbrüdern« erfahren wir, dass im frühen 11. Jahrhundert die jährliche Zusammenkunft der Siedler nicht mehr in Brattahlid abgehalten wurde,
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