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Mit Kurs auf Thule

Mit Kurs auf Thule

Titel: Mit Kurs auf Thule Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kirsten A. Seaver
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Sagas auch ein Wort für sie hatten:
Einfoetingar
. Laut der »Saga von Eirik dem Roten« erblickten Karlsefnis Gefolgsleute in Amerika ein solches Wesen. 9
    |89| Storm und Bjørnbo interessierten allerdings weder Lappen noch Einfüßler. Sie suchten nach Skraelingern. Bjørnbo war mit Storm der Ansicht, dass sowohl die Karelier wie auch die Pygmäen Grönland-Eskimos gewesen seien, stimmte aber der Vermutung seines Kollegen, dass
careli
die Aussprache von
Skræling
in der Eskimosprache sei, nicht zu. Storm hatte argumentiert,
Skræling
wäre auf Inuktitut als
Karálit
ausgesprochen worden – eine Ähnlichkeit, die seiner Ansicht nach für sich sprach. 10 Doch Claudius Clavus musste sicher wissen, dass der nordische Name für Eskimos Skraelinger war, schrieb Bjørnbo, und verwies darauf, dass in der
Historia Norvegiæ
ganz eindeutig zwischen Kareliern und Skraelingern unterschieden wurde. Hier zählte man die
Kiriali
zu den Völkern, die im Osten jenseits der norwegischen Grenzen lebten, und beschrieb die Skraelinger als »kleine« Menschen, auf die die Nordmänner nördlich ihrer grönländischen Siedlungen gestoßen waren. Bjørnbo war ganz und gar in der Vorstellung gefangen, dass die grönländischen Nordmänner eine äußerst feindselige Beziehung zu den arktischen Ureinwohnern gehabt hätten. Deshalb glaubte er, dass die von Claudius Clavus als »Pygmäen« bezeichneten Menschen nichts weiter als eine Handvoll Eskimos gewesen seien, die man auf hoher See abgefangen und nach Norwegen gebracht habe, während die Karelier auf der Nancy-Karte und in den »Wiener Texten« gefährliche Scharen von Eskimos in Grönland gewesen seien. 11
    Nachdem also Storm und Bjørnbo zu dem Schluss gekommen waren, dass bei Clavus mit den »Kareliern« wie auch mit den »Pygmäen« Eskimos gemeint und dass beide Völker damit Skraelinger gewesen seien, wurde die Debatte über die Herkunft des Wortes
Skræling
im Wesentlichen auf linguistischer Ebene geführt, und das nicht allzu feinsinnig. So schlug etwa ein englischer Wissenschaftler vor, dass das Wort vielleicht mit dem modernen norwegischen
skræla
, das »schreien« bedeutet, verwandt sein könnte. Ein anderer jüngerer Beitrag wies jede linguistische Beziehung zwischen
Skræling
und dem Wort
Kalallit
(mit dem sich die Inuit auf Grönland selbst bezeichneten) oder zwischen
Kalallit
und Karelier zurück; der Autor bevorzugte eine mögliche Verbindung von
Kalallit
und dem isländischen Word
klaedast
(Haut), was darauf hinweisen soll, dass sich die Menschen in Häute kleideten. 12
    Allerdings überzeugen solche »Klangähnlichkeiten« die Linguisten nur selten. Hier haben sie sich vielmehr sogar als nicht gerade hilfreich erwiesen, um die Etymologie von
Skræling
offenzulegen oder zu klären, warum die Nordmänner diesen Namen drei verschiedenen Ethnien gaben, deren hervorstechendste körperliche Eigenschaft ein kleiner Wuchs war und die dort lebten, wo der mittelalterlichen Vorstellung nach der Westen auf den Osten traf.
    |90| Fachleute, die mit dem Altnordischen ebenso vertraut sind wie mit dem modernen Norwegisch, haben eine mögliche etymologische Verbindung zwischen
Skræling
und dem modernen norwegischen word
skral
vorgeschlagen, mit dem man Menschen oder Gegenstände von minderwertigem Zustand beschreibt. 13 Obwohl dieser Erklärung anerkannte Regeln des Vokalwechsels und der Konsonantendoppelung im Altnordischen entgegenstehen, passt sie doch ziemlich gut, wenn man auf Aris sachliche erste Verwendung des Wort zurückkommt: Er hatte es erstmals gehört, als sein Onkel Thorkell von den Ureinwohnern erzählte, die die Nordmänner in Vínland angetroffen hatten. Sie passt auch zu den Pygmäen, denen Claudius Clavus einen Platz auf der Landbrücke nach Grönland zuwies. Obwohl die Skraelinger anders aussahen als andere Ethnien, die man vom nordischen Fernhandel und den Wikingerfahrten her kannte – anders als die »blauen Menschen« Nordafrikas, die Slawen und Balten Nowgorods und die abbasidischen Muslime Bagdads –, hatten sie schon ihren Platz im europäischen Sagengut, und gebildete Nordmänner kannten wohl auch ihren Namen: Pygmäen.
    In Grönland und Island war keine Erklärung nötig, weil
Skræling(j)ar
eine direkte altnordische Übersetzung von
Pygmæi
(Pygmäen) war, einem Begriff, der speziell für eines der ungeheuerlichen Völker am äußersten Rand der Welt verwendet wurde, zunächst von den Autoren der Antike und dann auch im mittelalterlichen christlichen

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