Mit Kurs auf Thule
Jahr 1360 erreicht habe.
Der Minorit hatte dem
officialis
des grönländischen Bischofs (damals Ívar Bárdsson) ein Astrolabium als Gegengeschenk für eine Bibel überreicht, bevor er seine Erkundungsreise in den Norden fortsetzte. Diese Reise beschrieb er später in seinem Werk
Inventio fortunata
, das van Knooij offenbar vorlag. Nachdem sein Weg durch den Gebirgszug rund um den Nordpol blockiert worden war, hatte der Mönch sich offenbar nach Westen über die Davis Strait bewegt. Er fand keine Siedlung, »außer an der Ostseite, wo es in jenem schmalen Land
(isthmus)
… 23 Menschen gab, die nicht größer als vier Fuß waren«. 15
Für alle mittelalterlichen Europäer repräsentierte diese »Ostseite« den äußersten transatlantischen »Westen« – noch nach Martin Frobishers Reisen bis Baffin Island in den Jahren 1576 bis 1578 wurde die kanadische Arktis nördlich der Frobisher Strait als Nordostasien angesehen. Die »Kleinen Menschen«, die der Mönch gesehen hatte, waren höchstwahrscheinlich Thule-Eskimos an der Südostküste von Baffin Island, wo es eine relativ große Konzentration von Überresten mittelalterlicher Thule-Häuser gibt und wo die winzige Thule-Schnitzerei eines nordischen Menschen aus dem 14. Jahrhundert gefunden wurde (Kapitel Vier). Mercator schrieb in seinem Brief, dass die dortigen Ureinwohner seiner Einschätzung nach Pygmäen seien – »
Pygmæi credo dicti«
. 16 Als der englische Mönch und Ívar in Grönland ihre Geschenke austauschten, sprachen sie höchstwahrscheinlich auch über die Ureinwohner im hohen Norden, und da sie sich sicher lateinisch unterhielten, verwendete Ívar, wenn er sich auf die
Skræling(j)ar
bezog, notwendigerweise das Wort
Pygmæi.
Die Gleichsetzung von »Pygmäen« mit »Skraelingern« sollte keinen Bestand haben: Die prächtige, von Hand gezeichnete Landkarte des Priesters Pierre Descelier aus Dieppe zeigt 1550 Pygmäen im Landesinneren des kanadischen Ostens und
»screlinges«
entlang der Südküste Grönlands, das in der Darstellung mit |93| »Eurasia« verbunden ist. Mercator schloss sich dem mit seiner Landkarte von 1569 sofort an, und seither waren Pygmäen und Skraelinger lange Zeit zwei separate Völker in der Kartografie der nordamerikanisch-grönländischen Arktis. 17
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|98| 6 Beziehungen zu Kirche und Krone
Von einer Handvoll Christen in der ersten Siedlergeneration bis zur Etablierung eines ständigen eigenen Bischofssitzes in Gardar – das Wachstum der römischen Kirche in Grönland, das seinen Zenit schließlich im 13. und frühen 14. Jahrhundert erreichte, ist eng verknüpft mit dem Handel und seinen Verbindungen zur kirchlichen und weltlichen Obrigkeit in Norwegen. Die Bischöfe und Erzbischöfe Norwegens beteiligten sich in dieser Zeit aktiv am Handel, da sie ihre Einnahmen in Naturalien erhielten. Den Bischöfen von Bergen wurde schließlich sogar die Aufgabe übertragen, von Grönländern wie Isländern die Steuern für Kirche und Krone einzutreiben. Der Schiffsverkehr zwischen Grönland und Norwegen war so sporadisch, dass er wahrscheinlich immer sowohl privaten wie auch kirchlichen Handelszwecken diente, doch die wenigen Aufzeichnungen zu grönländischen Einfuhren, die die Zeiten überdauert haben, stammen ausschließlich aus kirchlichen Archiven. Dieser Umstand hat die Wahrnehmung gefördert, dass die Kirche im Besonderen und der Kontakt mit Norwegen im Allgemeinen die Fundamente gewesen seien, auf denen das wirtschaftliche und geistliche Wohlergehen der nordischen Grönländer ruhte. Es gibt allerdings keine Belege, die diese Wahrnehmung rechtfertigen würden.
Aus Gründen, die ich in Kapitel Acht näher ausführen werde, ist auch die immer wieder kursierende Behauptung, die Grönländer hätten sich wie die Isländer nach 1264 völlig der Herrschaft des norwegischen Königs unterworfen und damit neben dem schon etablierten Kirchenzehnten auch königliche Steuern bezahlt, mit Vorsicht zu genießen. Die Finesse, mit der sowohl die weltlichen wie auch die kirchlichen Abgaben eingefordert – aber nicht unbedingt auch wirklich kassiert – wurden, sind ein Schlüssel zur Bewertung der Lebenskraft der grönländischen Siedlungen. Um jedoch ihre Wirkung zu verstehen, |99| muss man sich von der Vorstellung des 19. Jahrhunderts über den Einfluss der kirchlichen und weltlichen Autoritäten auf die Grönländer verabschieden. Vor allem aber sollte man immer im Hinterkopf behalten, dass die Nordmänner in Grönland nichts
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