Mit Kurs auf Thule
Namens auf dem Schriftstück von 1419 ist und bleibt, dass er nicht am Althing von 1419 teilgenommen hatte, wie er es hätte tun müssen, solange er nicht schwer krank oder außer Landes war. Zwischen Mai 1417 und Herbst 1419 hört man so wenig von ihm, dass er durchaus im Ausland, drüben in Grönland, gewesen sein könnte, während sein Bruder Arni noch immer die höchste weltliche wie kirchliche Macht in Island innehatte und sein Bruder Hall und sein Onkel Arnfinn wieder einmal mit der Krone in Norwegen und Dänemark verhandelten.
Falls Thorstein tatsächlich nach Grönland gesegelt sein sollte, könnte er es angesichts der aufdringlichen Präsenz englischer Schiffe in isländischen Gewässern diesmal für sinnvoll gehalten haben, seine Reise an Bord eines englischen Schiffes anzutreten. Einen englischen Kaufmann aufzutreiben, der nur zu gern dem wachsenden Konkurrenzdruck um den Fisch in Island entgehen wollte, dürfte nicht allzu schwer gewesen sein, zumal die Existenz und grobe geographische Lage Grönlands den Seefahrern im Norden schon seit Jahrhunderten bekannt waren.
Jeder englische Fischhändler, der eine solche Reise unter Missachtung der Anordnungen König Erichs unternahm, wollte seine Informationen und Gewinne sicher nicht mit anderen teilen und legte auch keinen Wert darauf, dass die Fahrt aktenkundig wurde. Das Fehlen jeder schriftlichen Überlieferung zu diesem rätselhaften Abschnitt von Thorsteins Leben ist nur
ein
Grund für die Annahme, dass er (und vielleicht einige seiner nordisländischen Freunde) als Mittelsmänner zwischen den Bauern der Ostsiedlung und einem oder mehreren englischen Stockfischaufkäufern auftraten und dass er und Sigrid die Gelegenheit beim Schopf ergriffen, wenigstens noch einmal nach Hvalsey zurückzukehren, weil ein Kind Sigrids volljährig oder heiratsfähig geworden war.
Auch die archäologischen Funde kommen hier ins Spiel, mit Artefakten englischer Herkunft, die in Schichten der Spätphase der Ostsiedlung – auch in Hvalsey – zutage kamen, und mit einigen bemerkenswerten Frauengewändern, die in Gräbern in Herjolfsness gefunden wurden.
Inzwischen in Island …
Auch einige weitere Ereignisse des Sommers 1419 in Island stärken die Indizienbeweise für Thorsteins Abwesenheit von Island in dieser Zeit.
Die einträgliche Karriere von Thorsteins Bruder Arni kam 1419 zu einem plötzlichen und geheimnisumwitterten Ende, als er Island mit Kurs auf die Westman-Inseln verließ und nie mehr zurückkehrte. Vor seiner Abreise machte er seinen und Thorsteins Onkel Arnfinn zu seinem Ombudsmann als
hir ∂ stjóri
– |179| später in jenem Sommer ersetzte König Erich Arnfinn allerdings durch einen seiner eigenen Männer. Arnfinn nannte sich deshalb
hir ∂ stjóri
von ganz Island, als er, zwei Wochen nachdem er am 1. Juli seinen Namen unter den Brief an König Erich gesetzt hatte, zwei englischen Kaufleuten schriftlich die Erlaubnis erteilte, auf den Westman-Inseln und in ganz Island zu handeln und zudem ein Jahr lang mit so vielen Männern, wie sie wollten, zu fischen. Wenn Thorstein beim Althing 1419 dabei gewesen wäre, hätte Arni vermutlich ihn als zeitweiligen Vertreter gewählt. Jedenfalls wurde er 1421 schließlich zum
hir ∂ stjóri
ernannt, zwei Jahre nach Arnis Abreise. Es fällt auch auf, dass Thorsteins Name weder in Verbindung mit anderen Dingen auftaucht, die im Zuge der Versammlung von 1419 geregelt wurden, noch bei den überstürzten Rechtsgeschäften, die mit Arnis Abreise zu tun hatten. 20
Bischof Arni könnte sich bereit erklärt haben, dem König den Brief vom 1. Juli wie auch die zwei Wochen später abgefasste Genehmigung zu überbringen. Beide Dokumente befinden sich heute in dänischen Archiven. Weil er so abrupt abreiste, sind die Historiker im Allgemeinen davon ausgegangen, dass er mit König Erich über Geld oder Politik aneinandergeraten war, doch das ist eher unwahrscheinlich. Nur ein Jahr später bürgten der Kämmerer des Königs und vier andere einflussreiche Adlige des dänisch-norwegischen Königreichs für ihn, als er einen Wechsel unterzeichnete. Arni hatte den Berichten zufolge Waren für den König aus Island mitgebracht. Die hatte er in Bergen verkauft, weil er einen Piratenüberfall fürchtete, wie sie jetzt wegen König Erichs Streitereien mit Schleswig in den Gewässern zwischen Dänemark und Norwegen immer häufiger vorkamen. Arnis Nachfolger in Skálholt, der Däne Jón Gerreksson, wurde 1426 ernannt. Über Arnis letzte
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