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Mit Kurs auf Thule

Mit Kurs auf Thule

Titel: Mit Kurs auf Thule Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kirsten A. Seaver
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Geografie des hohen Nordens einige Verwirrung herrschte, sondern auch, dass das Wissen über die englischen Entführungen in der einen oder anderen Form lange in Europa erhalten blieb. Eine Bildlegende neben dem Umriss einer umgedrehten Rübe, der Island darstellen soll, lautet: »In Ysland findet man schön weiss volk und sindt christen. Daselbst ist gewohnhit das man die hundt theuer verkauft u. ihre kinder geben sie hinweg den kaufleuten um gotts willen auf das die andern brod haben.« 27
    Ziemlich viele englische Freveltaten auf Hannes Pálssons Liste betrafen allerdings nicht das Kidnapping von Kindern, sondern Streitereien mit dänischen Beamten und angebliche Fischdiebstähle zu deren Lasten. Bei der Hälfte der Beschwerden ging es immer wieder um dieselben wenigen Übeltäter, viele davon aus Hull, das immer ein größeres Piratennest war als Kings Lynn oder die Stadt Bristol, die gar nicht im Bericht des
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auftaucht. Carus-Wilson nahm dies als ein Anzeichen dafür, dass die Engländer meist »einen friedlichen Handel trieben, der allen Beteiligten nutzte«. Nun ist »friedlich« eine relative Sache in einer gewalttätigen Zeit, in der die Engländer durchaus nicht das Monopol auf Raub und Mord hielten. Es ist außerdem fraglich, wie gesetzestreu die Männer aus Kings Lynn und Bristol in Vergleich zu denen aus Hull waren. So hielten etwa in den Jahren 1424/1425 Kaufleute in Bristol ausländische Kaufleute gefangen, um Lösegeld zu erpressen. Damals waren schon Seefahrer aus Bristol bis nach Island gekommen. 28

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    |190| 10 Aus der Geschichte verschwunden
    Die Grönländer – die nicht mehr aufzufinden waren, als die dänisch-norwegische Obrigkeit endlich die Zeit fand, nach ihnen zu suchen – hatten das Land offenbar aus eigenem Antrieb verlassen. In den Ruinen von Höfen und Kirchen sind so wenige Artefakte gefunden worden, dass alles auf eine gemeinsame Entscheidung hindeutet, weiterzuziehen und alle Wertsachen mitzunehmen. Ihre endgültige Abreise wäre damit ein ebenso geplanter Akt gewesen wie die Ankunft der ersten Siedler fünf Jahrhunderte zuvor. Wir wissen allerdings nicht, warum sie die Insel verließen, und auch nicht, wohin sie gingen und wie viele Menschen in diesen letzten Entschluss einbezogen waren. Wir wissen noch nicht einmal, wann dieser »Auszug« stattfand oder wann die letzten nordischen Toten in Grönland bestattet wurden.
    Die neuere Forschung erschüttert gerade alte Lehrmeinungen, darunter die Aussage, die Westsiedlung sei um 1350 untergegangen. Wie in Kapitel Sieben beschrieben, haben neuere Grabungen am »Hof unter dem Sand« gezeigt, dass die Besiedlung der Stätte um 1400 endete. Das Datum 1350 ergab sich aus Ívar Bárdssons »Beschreibung Grönlands« und dem darin enthaltenen Bericht über eine Expedition zur Westsiedlung, angeblich, um den dort ansässigen Bauern zu helfen, die von den »Heiden« bedroht wurden. Die erhaltene Fassung von Ívars Bericht besagt, dass die Expedition weder Christen noch Heiden fand, sondern nur verlassene Höfe, auf denen Pferde, Ziegen, Schafe und Rinder unbewacht grasten. Verfallene Häuser werden allerdings ebenso wenig erwähnt wie eine gründliche Suche von Seiten der Mitglieder der Expedition nach Überlebenden und deren Behausungen. Im Bericht Ívars heißt es nur, dass Ívars Männer so viele Tiere schlachteten, wie sie nur konnten, die Beute auf ihre Schiffe luden und heimsegelten.
    |191| Diese Geschichte wurde noch glaubwürdiger durch die Behauptung des Bischofs Gísli Oddsson von Skálholt (1593–1638), dass die Grönländer 1342 nach Nordamerika aufgebrochen seien. Gísli schrieb:
     
    Die Bewohner Grönlands ließen aus eigenem Entschluss vom wahren Glauben und der christlichen Lehre ab und verwarfen alle ehrenhaften Sitten und wahren Tugenden und wandten sich den Sitten der Völker Amerikas zu. Es meinten nämlich nicht wenige, dass Grönland viel näher am westlichen Kontinent liege. Das hat zur Folge, dass die Christen vermeiden, nach Grönland zu segeln. 1
     
    Als Gísli sich seine Erklärung für das Verschwinden der nordischen Grönländer zurechtlegte, war die europäische Besiedlung Nordamerikas schon in vollem Gange, und mehrere Versuche, die alten nordischen Kolonien in Grönland zu kontaktieren, waren gescheitert. Angeblich kamen seine Informationen aus dem Archiv in Skálholt. Da jedoch viele Dokumente beim Brand des Doms von Skálholt 1630 verloren gingen, wissen wir nicht, ob sich im Archiv

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