Mit Kurs auf Thule
verwirrende) Reihung geht in weiten Teilen auf Quellen wie die Knittelverse der
Dänischen Chronik
von Claus Christoffersen |225| Lyschander (1558–1624) aus dem Jahr 1608, die
Groenlandia,
geschrieben zwischen 1597 und 1602 von Arngrimur Jónsson (1568–1648), und die
Grænlands annáll
von Björn Jónsson aus Skar∂sá zurück. Der wiederum hatte den größten Teil seines Materials um 1643 aus einer etwas früheren, anonymen Kompilation abgeschrieben und ziemlich willkürlich eigene Ideen hinzugefügt, die auch auf den Einfluss der Zeno-Karte von 1558 (siehe »Postskriptum« und unten) schließen lassen. 7
Valkendorf erhielt 1514 eine päpstliche Genehmigung für seine Expedition (Kapitel Zehn), doch die Reise selbst fand nie statt. Dem Erzbischof fehlten die Mittel, nachdem er mit seinem eigensinnigen König aneinandergeraten war. Vorher jedoch war Valkendorf noch bei der Veröffentlichung der
Gesta Danorum
in Paris behilflich gewesen, einer überaus eigenartigen Geschichte der Dänen, die Saxo Grammaticus irgendwann zwischen 1204 und 1216 fertiggestellt hatte. Danach lag die Handschrift drei Jahrhunderte in der Bibliothek des Klosters Sorø, wo sie unter anderem Claudius Clavus zu Rate zog. 8 Als gedrucktes Buch heizte das Werk jetzt die Neugier aller Autoren und Kartografen an, die sich für den hohen Norden interessierten. Es verkaufte sich so gut, dass es 1536 in Basel noch einmal gedruckt wurde und 1575 in einer bereinigten Übersetzung erschien. In diesem Werk fand sich auch die Geschichte eines Mannes namens Thorkild in Diensten König Gorms des Alten. Thorkild segelte in den Norden des norwegischen Hålogalands, wo seine Mannschaft ihm den Gehorsam verweigerte und eine große Herde Schafe schlachtete, die dort ohne Obhut grasten. Es stellte sich allerdings heraus, dass die Tiere ein paar Trollen gehört hatten, die über die Tat der Seefahrer nicht gerade erfreut waren. 9 Von dieser Erzählung ist es nur ein kleiner Schritt zur Geschichte von den unbehüteten Tieren, die in einer geisterhaft menschenleeren Westsiedlung geschlachtet werden, wie wir sie in Ívars »Beschreibung« in der Fassung von Valkendorf und seinen Schreibern finden.
Ívars Einflussbereich wächst
Ivars »Beschreibung« liegt in mehreren Übersetzungen vor, darunter Niederländisch, Deutsch, Lateinisch und Englisch. Die englische Fassung lieferte Master William Steere 1608, sie erschien 1625 in Samuel Purchas’ Kompendium
Purchas his Pilgrimes
. 10 Purchas notiert, dass der holländische Steuermann und Entdecker Willem Barentsz (um 1550–1597) diese Abhandlung aus der Feder von »Iver Boty a Gronlander« 1560 ins Deutsche und danach ins Niederländische |226| übersetzt habe. Grundlage sei ein Text gewesen, den ihm offenbar ein weitgereister Kaufmann und Politiker namens Daniel van der Meulen zur Verfügung gestellt habe. Diese Fassung, die Purchas vom Kartografen Peter Plancius (1552–1622) bekommen hatte, war eben jene, die Master Steere sich bei ihm auslieh, um den Bericht von »Iver Boty« für den englischen Entdecker Henry Hudson zu übersetzen. Dieser Kreislauf spricht Bände darüber, wie begierig die Menschen damals Informationen über die Polarregion und die erhoffte Abkürzung zu den Schätzen Asiens aufsogen und weitergaben. Plancius, der später die Niederländische Ostindien-Kompanie gründete, schuf 1594 eine Weltkarte, auf der er eine Nordostpassage nach Asien einzeichnete, die die Niederländer seiner Vorstellung nach erkunden sollten. 11
Barentsz hatte seine Übersetzung von Ívars Bericht 1594 kurz vor der ersten seiner drei Reisen auf der Suche nach eben jener Nordostpassage fertiggestellt – eine vergebliche Suche, die mit seinem Tod auf Nowaja Zemlja enden sollte. Allerdings hätten weder er noch Hudson wenige Jahre später auf ihren tastenden Fahrten durch die feindlichen arktischen Gewässer großen Nutzen aus den Segelanweisungen ziehen können, die sich in ihrer Fassung von Ívars »Beschreibung« fanden. Neben Vorstellungen aus der Zeit, als Björn Jónsson aus Skar∂sá seine
Grænlands annáll
niederschrieb, zeigen diese Anweisungen unverkennbar Spuren der Nordatlantik-Karte, die der Venezianer Nicolò Zeno der Jüngere 1558 veröffentlicht hatte (vgl. Kapitel Zehn und »Postskriptum«). Er behauptete, sie beruhe auf Informationen venezianischer Vorfahren aus dem 14. Jahrhundert, die mit den nördlichen Gewässern vertraut gewesen seien. Erst vor etwas mehr als hundert Jahren wurde sie als
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