Mit Kurs auf Thule
Landesinnere hatte er seiner Überzeugung nach Silber gefunden. Er brachte Proben mit nach Hause, während Cunningham, der inzwischen eine eigene Route entlang der Westküste eingeschlagen hatte, vier Ureinwohner gefangen nahm. Nachdem er einen von ihnen wegen gewalttätigen Widerstands erschossen hatte, musste er eine Kanone abfeuern, um den Auflauf wütender Ureinwohner zu zerstreuen. Die Nordmänner dagegen blieben unsichtbar, doch Christian IV. schickte im nächsten Jahr unverdrossen noch einmal fünf Schiffe auf eine zweite Expedition, mit Lindenow als Oberbefehlshaber an Bord der
Trost
und mit Hall als Erstem Offizier und Steuermann der Flotte. Die
Løven
wurde von John Cunningham geführt. Nur zwei der Schiffe erreichten Grönland, wo ihre Männer viel Zeit mit dem Sammeln von Silbererz an der Westküste verbrachten, das sie zusammen mit fünf oder sechs weiteren gefangenen Inuit nach Dänemark brachten. Dort allerdings erklärte man das Erz dann für wertlos. 21
|234| Christian IV. war noch immer vor allem darauf aus, die nordischen Siedlungen zu finden, und so schickte er 1607 eine dritte Expedition nach Grönland, diesmal mit genauen Anweisungen, an der Ostküste an Land zu gehen und sich sehr umsichtig und höflich zu zeigen, falls man Nordmänner treffen sollte. Wie vorauszusehen war, verhinderte der hoch aufgetürmte Eisgürtel vor der Küste jede Landung, was allerdings die Vorstellung, dass man genau hier weiter suchen müsse, nicht untergraben konnte. Bis dahin verdankten drei ziemlich unterschiedliche Karten ihre Existenz den dänischen Bemühungen, wieder Kontakt mit den grönländischen Nordmännern aufzunehmen: Die um 1590 vom jungen Isländer Sigur∂ur Stefánsson gezeichnete Karte, das Werk des dänischen Theologen Hans Poulsen Resen (1561–1638) aus dem Jahr 1605 und die Karte des isländischen Bischofs Gu∂brandur Thorláksson aus dem Jahr 1606. 22 Es ist hier nicht der geeignete Ort, diese Werke im Detail zu analysieren, aber man kann sicher sagen, dass jedes Einzelne von ihnen die Überzeugung belegte, dass Eirik der Rote seine Siedler an die Ostküste geführt habe und dass Grönlands Lage und Landverbindungen, zusammen mit den Vínland-Reisen, Dänemark dazu berechtigten, einen wesentlichen Besitzanteil an der Neuen Welt einzufordern.
Claus Christoffersen Lyschander (1558 – 16 24)
Die
Dänische Chronik
, ein m. E. todlangweiliges Stabreimgedicht von Claus Christoffersen Lyschander aus dem Jahr 1608, macht womöglich noch vorhandenen Zweifeln in Hinblick auf die dänischen Ambitionen im 16. und 17. Jahrhundert schnell ein Ende. Das Gedicht, das angeblich die Geschichte des nordischen Grönland von der Einführung des Christentums bis einschließlich der Expedition von 1607 zur neuerlichen Kontaktaufnahme mit der Siedlung erzählt, ist durchsetzt mit rätselhaften Äußerungen, die in pseudo-historischen Werken bis heute immer wieder herangezogen werden, jedoch zeitgenössische Ideen widerspiegeln und die moralische und politische Berechtigung Dänemarks bekräftigen, eigene Ansprüche in Grönland und der Neuen Welt durchzusetzen. Neben den schon besprochenen Überlegungen betont Lyschander, dass man einen Teil Amerikas für Dänemark einfordern dürfe, da dort ja Eirik als erster christlicher Fürst an Land gegangen sei – die heidnischen Ureinwohner spielen bei dieser Überlegung keine Rolle. Nach Lyschander waren die Kolonie in Grönland und ihr Satellit in Vínland schon von den ersten Anfängen an christlich: »Und Eirik [der Rote] nahm Grönland in Besitz und brachte sowohl |235| Menschen wie auch den Glauben nach Vínland, wo er präsent ist bis zum heutigen Tag.« Die Nordmänner, alle verdiente Christen, kamen in ihrem reichen neuen Land zu Wohlstand, erbauten Städte und gründeten ein Kloster, das sie dem hl. Thomas weihten, »im Osten an Grönlands wildester Küste«. 23
Die Prioritäten verschieben sich
Christian IV. finanzierte nach 1607 keine weitere Expedition zur Suche nach den nordischen Grönländern mehr. Vielmehr konzentrierte er sich darauf, die Naturschätze seiner angeblichen arktischen Besitzungen auszubeuten und sich ihre strategische Lage zunutze zu machen, indem er von dort aus sowohl eine Nordost- wie auch eine Nordwestpassage nach Indien suchte. 1614 kam es zu einer Übereinkunft mit der »Noordsche Compagnie« in Bezug auf den Fischfang, den Walfang und den Handel »an oder vor den Küsten zwischen Nowaja Zemlja und der Davis-Straße,
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