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Mit Leerer Bluse Spricht Man Nicht

Mit Leerer Bluse Spricht Man Nicht

Titel: Mit Leerer Bluse Spricht Man Nicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katinka Buddenkotte
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will für ihn eine Art Totenwache abhalten, die irgendwie griechisch-orthodox anmuten soll, obwohl wir weder das eine noch das andere sind. Sie findet die Vorstellung einfach schön, dass alle Verwandten und Freunde von ihm Abschied nehmen können, und zwar nicht in einer Kirche, sondern bei uns zu Hause, in seiner natürlichen Umgebung, wie meine Mutter es bezeichnet. Ihr genauer Plan besteht darin, meinen Vater drei Tage lang im offenen Sarg auf dem Esszimmertisch aufzubahren, in seinem guten schwarzen Frack. Mein Bruder meinte, dass es dann doch weitaus natürlicher wirke, wenn wir meinen Vater statt im Frack in seinem Jogginganzug aufbahren würden, und ich gab daraufhin zu bedenken, dass wir meinen Vater dann doch auch ganz natürlich im Jogginganzug ohne Sarg auf die Couch legen könnten.Meine Mutter fand das geschmacklos von mir. Wenn wir meinen Vater einfach nur im Jogginganzug auf die Couch legten, würden viele unserer dussligen Freunde gar nicht merken, dass er tot sei, meinte sie. »Wäre das nicht schön?«, sagte meine Schwester verträumt, und mein Vater schnaubte, damit wir merkten, dass er noch gar nicht tot war.
    In der Tat ist er weit davon entfernt, tot zu sein, genau wie meine Mutter. Die beiden sind für ihr Alter quicklebendig und kerngesund. Aber meine Mutter liebt den Tod und alles, was damit zusammenhängt. Sie ist eine dieser wenigen fröhlichen, pastellfarbenen Morbiden, die zu jedem Geburtstagsgeschenk statt einer Glückwunschkarte einen Organspendeausweis dazulegen. Die weiteren Passionen meiner Mutter sind Winterschlussverkauf und dicke Kinder. Dicke Kinder sind ihr fast noch lieber als der Tod. Sie kann sich nicht sattsehen an ihnen, und die Mischung zwischen Faszination und Ekel ist immer ausgewogen, wenn sie welche ausfindig macht. Wenn sie ein besonders dickes Kind gesehen hat, erzählt sie den halben Tag von dieser Begegnung, bläht unterstützend ihre Backen auf und zeigt mit den Händen den enormen Brustumfang an, den der arme Achtjährige hatte. Die Eltern dieser Kinder gehören an den Pranger, so sagt sie immer, die armen, armen Kinder, »aber mein Gott – waren die fett!«
    Mein Vater ist Lehrer, ihm sind dicke Kinder egal, solange sie ihre Hausaufgaben machen. Mein Vater ist selber ziemlich dick, aber solange er nicht so dick wird, dass er mit dem offenen Sarg durch den Esstisch bricht,ist alles in Ordnung. Denn den Tisch brauchen wir noch, für später, wenn der Papa mal nicht mehr da ist, obwohl keiner weiß, wofür. Meine Mutter kann ums Verrecken nicht kochen.
    Mein Vater kocht viel zu gut, viel zu viel und sammelt auch gerne. Vor allem Haushaltsgeräte. Er besitzt acht verschiedene Trüffelhobel, hält sich selbst aber für ganz normal. Der gesamte Keller meiner Eltern ist vollgestopft mit Kram, den mein Vater gesammelt hat: Eiswürfel-Crusher, Computer, Bilder, halbe ausgestopfte Elche, elektrische Fußbadewannen, Mikrowellen, Trüffelhobel.
    Einmal im Jahr bringt meine Mutter den ganzen Kram zum Sperrmüll, frühmorgens. Der Sperrmüllabholdienst ist aber immer erst am späten Nachmittag in unserer Straße. Das gibt meinem Vater die Gelegenheit, alles wieder in den Keller zu räumen, wenn er mittags aus der Schule kommt.
    »Stell dir vor, das wollte jemand wegwerfen«, sagt er dann zu meiner Mutter, und meine Mutter sagt nichts, sondern poliert schon mal den Esstisch, für später.
    Mein Vater stellt auch gerne Fragen, Antworten interessieren ihn nicht sosehr. Er hat seine Technik mithilfe des Autoradios perfektioniert. Er dreht es auf ganz leise, fragt etwas, und wenn wir antworten, dreht er schnell wieder auf ganz laut.
    Mein Vater war früher evangelisch, meine Mutter katholisch, er ist für Dortmund, sie für Schalke, mein Vater hat Angst vor Schwulen, meine Mutter findet die alle total niedlich, meine Eltern können nicht aus derselbenKanne Kaffee trinken, weil er meiner Mutter immer zu stark und meinem Vater zu schwach ist. Manchmal macht mein Vater heimlich eine Diät, damit er jederzeit in den Sarg passt und nicht durch den Esstisch kracht. Ich halte das für überflüssig. Denn meine Mutter wird ihn nicht um einen Tag überleben, wenn es dann mal so weit ist.

Die gelben Mappen
    »Wann waren Sie denn zum letzten Mal hier?«, fragt mich die Dame von der Agentur für Arbeit und scheint darauf tatsächlich eine Antwort zu erwarten.
    Ich finde, diese Frage gehört nicht in den Mund von Dienstleistern, aber sie alle lieben diesen Satz: der Zahnarzt, der fasziniert

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