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Mit Leerer Bluse Spricht Man Nicht

Mit Leerer Bluse Spricht Man Nicht

Titel: Mit Leerer Bluse Spricht Man Nicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katinka Buddenkotte
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auf mein Bonusheftchen mit vierstelliger Postleitzahl starrt, und auch der Friseur, der meine Kopfflusen durchwuschelt und mich süffisant darüber aufklärt, dass ich den »Just-out-of-Bed-Look« wohl mit dem »Just-stay-in-Bed-Look« verwechselt habe.
    Meine Wiedereingliederung in die Gesellschaft läuft nicht gerade gut an. Vielleicht war es ein Fehler, mir sowohl »Kaspar Hauser« als auch »Nell« auf Video auszuleihen und drei Tage lang zu üben, alle Wörter fast ohne Vokale auszusprechen. Die Dame von der Agentur für Arbeit scheint den Trick auch schon zu kennen. Denn als ich wild mit den Armen zu rudern beginne und versuche, sie über ihren Schreibtisch hinweg zu umarmen, wobei ich in gespielter debiler Freude »Pfreund, Pfreund, gut, gut!« rufe, haut sie mir mit meinem Abiturzeugnis auf die Finger.
    »Frau Buddenkotte, die Nummer haben andere schon besser gebracht. Also, wann waren Sie das letzte Mal hier?«
    Ich gebe auf, seufze und bekenne reumütig: »Vor zehn Jahren, mein Zahnarzt kann das bestätigen.«
    Die Dame seufzt ebenfalls und wirft einen kurzen Blick auf meine Unterlagen.
    »Und wie alt sind Sie jetzt?«, will sie wissen.
    Das könnte eine Falle sein, also wage ich einen müden Gegenangriff: »Fünfundsechzigeinhalb?«
    »Falsch.«
    »Richtig.«
    »Sie sind höchstens halb so alt.«
    »Na, hören Sie mal, ich bin neunundzwanzig!«
    »Erwischt!«
    »Glückwunsch. Kann ich jetzt gehen?«
    »Nein, zuerst suchen wir einen Beruf für Sie. Und da Sie in den letzten zehn Jahren offensichtlich nichts auf die Reihe gekriegt haben, fangen wir ganz vorne an. Wo liegen denn Ihre Stärken, Frau Buddenkotte?«
    »Ich bin unverbraucht und hege eine Menge Vorurteile. Das könnte ich aber noch ausbauen.«
    »In Ihren alten Unterlagen steht, dass Sie – entschuldigen Sie, dass ich gähne – etwas Soziales mit Tieren machen wollen. Besteht da noch Interesse?«
    »Nein, ich würde jetzt lieber was Asoziales mit alten Leuten machen. Ich könnte direkt mit Ihnen anfangen.«
    »Werden Sie nicht frech, Frau Buddenkotte, ich bin nicht alt, ich bin neunundvierzig.«
    »Erwischt. Touché!«
    »Okay, Ausgleich, aber ich kriege Sie noch. – Hier steht, Sie hätten versucht, zu studieren. Was ist passiert? Haben Sie den Raum für das Proseminar nicht gefunden?«
    »Schlimmer. Ich habe die Fakultät nicht gefunden.«
    »Netter Versuch, Frau Buddenkotte, aber so sammeln Sie hier keine Punkte. Erst letzte Woche hat jemand behauptet, er wäre drei Jahre lang an der falschen Uni gewesen – als Dozent. Haben Sie jemals daran gedacht, so richtig zu arbeiten, also ohne akademisches Vorgeplänkel?«
    »Nein, und ich habe auch das Attest beigelegt.«
    »Was für ein Attest?«
    »Das vom Hautarzt. Sobald jemand das Wort Berufsschule ausspricht, bekomme ich großflächige, nässende Ekzeme.«
    »Das wäre doch ein guter Einstieg gewesen für eine Karriere als Aussätzige.«
    »Das ist ein Ausbildungsberuf?«
    »Selbstverständlich. Haben Sie etwa noch nie einen Blick in unsere gelben Mappen geworfen?«
    »Die gelben Mappen? Ich kenne nur die grünen und die roten!«
    »Erstaunlich. Sie erfüllen alle Kriterien für einen Einblick in unsere gelben Mappen.«
    Meine Arbeitsagenturdame steht auf, schiebt die Regalwand mit den Aktenordnern beiseite und öffnet den dort versteckten Wandsafe. Die gelben Mappen. Es müssen Hunderte sein. Von A wie Angeber bis Z wie Zahnarztgattin.
    »Schauen Sie doch mal hier, Frau Buddenkotte, die Aussätzigen-Ausbildung. Bis 2002 musste man noch ein Praktikum in einer Lepra-Kolonie absolviert haben, aber heute reicht als Grundvoraussetzung schon ein relativ übler Eigengeruch. Auch die Kutten sind heutzutage viel praktischer geschnitten und in aktuellen Farben erhältlich. Jetzt kommt der kleine Wermutstropfen. Halbtagsstellen sind kaum zu bekommen, und etwa vierzig Prozent der angelernten Aussätzigen entwickeln im Laufe von drei Jahren eine Allergie gegen sich selbst.«
    »Klingt anstrengend. Was ist denn das da, in der Mitte? Heiratsschwindler?«
    »Völlig überlaufen und leider immer noch eine Männerdomäne. Und die Stipendien beim Anna-Nicole-Smith-Institut sind ziemlich heiß begehrt   …«
    Doch so einfach lasse ich mich nicht abfertigen. Jetzt, wo ich das Geheimnis der gelben Mappen kenne, möchte ich auch loslegen dürfen: »Aber ich brauche sofort einen Arbeitsersatz! Was ist denn damit: Kiezgröße? Das klingt gut!«
    »Hm-m, wird auch oft angefragt. Die meisten fallen aber schon beim

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