Mit Leerer Bluse Spricht Man Nicht
andererseits ist es ja ein großer Irrtum, wenn man glaubt, man könne mit schwarzen Klamotten alle Problemzonen kaschieren.
Ein noch größerer Irrtum von mir war nur der, dass ich glaubte, keine Problemzonen zu haben. Also shoppe ich mit der Frau, die den Bill von
Tokio Hotel
erfunden hat und auch die rockige Seite von Jeanette Biedermann. Wir shoppen ein paar freche Accessoires, es soll ja auch typgerecht sein, ich bin ja schon eher so eine wilde Maus, sagt sie, und dann lächle ich schüchtern, und wir finden einen tollen Sommerschal mit ganz vielen Totenkopf-Applikationen drauf, aber alle so mit Schleifchen an der Augenhöhle, dann sieht das nicht so nach frisch ausgehobenem Massengrab aus, sondern richtig niedlich.
Dann muss ich vor der Kamera meinen alten, kaputtenRucksack verbrennen und dabei ein bisschen weinen, aber so, dass die Nase nicht rot wird, weil das nicht in mein neues Leben passt, und dann freue ich mich wieder, in Zeitlupe aus drei Kameraperspektiven, weil ich jetzt eine Handtasche geschenkt bekomme, jetzt kann ich endlich Competition machen. Ich fühle mich stark und viel selbstbewusster, sagt meine beste Freundin Gitti, die mal kurz auf einen Kaffee vorbeischaut und meinen neuen Look bewundert. Gitti kommt öfter mal auf einen Kaffee vorbei, und wir klönen dann über die Männer und Herbstmode, sagt die Produktionsassistentin. Das erscheint mir logisch, denn ich weiß wirklich nicht, über was ich sonst mit Gitti, 34, klönen sollte, ich kenne sie gar nicht. Von Beruf ist die Gitti Single-Frau und gleichzeitig noch Nachbarin, steht zumindest auf ihrem Einblendebalken.
Ausgestattet mit neuem Selbstbewusstsein will ich Gitti fragen, wie sie mit dieser außergewöhnlichen Doppelbelastung fertig wird, aber Gitti muss noch woanders auf einen Kaffee vorbeischauen und sich mit ihrer anderen besten Freundin unglaublich darüber freuen, dass diese endlich ihren Lebenstraum verwirklicht und auf Kreta Ziegenkäse-Welpen streichelt, für einen guten Zweck, aber auch für die Seele, die geben so viel zurück diese Tierchen, das war die ganze Mühe wert, schon wegen der Emotionen.
Als ich das höre, werde auch ich ganz emotional und will alte Gewohnheiten hinter mir lassen, aber ich bin noch nicht so weit, sagen sie.
Die Supernanny muss also her, die hat das nämlichstudiert, und die ist ganz erschrocken darüber, wie wir so miteinander umgehen, ich mit mir und mit mir selbst, da reicht es nicht aus, dass ich mir einen Ball zuwerfe und klare Ziele zu den festen Mahlzeiten formuliere. Ich muss die Supernanny umarmen und fühle die alten Ängste dabei aufsteigen, zum Beispiel die, dass ich die Supernanny beim Umarmen kaputtmache, weil die so klapprig ist, aber die sagt nur: »Lass es raus, lass es raus!«, und dann geht sie weg und hat ein gutes Gefühl, dass ich das durchhalte, mit der stillen Treppe und den heiteren Smiley-Magneten am Kühlschrank, die für Konsequenz und so stehen.
Dann soll ich mich wieder ein bisschen belohnen, und alle helfen mir dabei und packen mit an, im Hintergrund läuft dazu das Lied »Down Under« von
Men at Work
, weil »Bruttosozialprodukt« zu diesem Film einfach nicht passt, und jetzt machen sie mich passend für das Format. Während sie mir die Nase abraspeln, die Brüste eckig schrauben und meine Ohren bügeln, meine Poren verputzen und mir die Schweißdrüsen rausreißen, meinen Geschmackssinn weglasern und meine Zunge rasieren, mein Herz kernsanieren, mein Hirn versiegeln und meine Seele veröden, merke ich, wie sich alles von mir löst.
Und dann habe ich dich vergessen. Plötzlich weiß ich nicht mehr, wie meine Hände feucht werden konnten, wenn du nur den Raum betreten hast, ich habe keine unstillbare Sehnsucht mehr danach, jeden Millimeter deiner Haut zu berühren, verlange nicht nach dir, bis es schmerzt, habe vergessen, dass das Paradies auf deinenLippen liegt und wie dein Schweiß auf meiner Brust riecht, weiß nicht mehr, wie du morgens oder abends schmeckst, weiß nicht mehr, wie ich auch nur eine Träne für dich vergießen konnte. Das waren doch nur Gefühle. Jetzt habe ich echte Emotions.
Alles wird gut, sagen sie, und dann kommt Werbung.
Wenn es mal so weit ist
Meine Mutter hat alles geregelt, für später, wenn es mal so weit ist. Sie möchte verbrannt werden.
»Das wäre ja wohl noch schöner«, sagt sie immer, »jahrelang Geld für ein Grab bezahlen, in dem ich nur doof rumliege.«
Auch für meinen Vater hat meine Mutter alles geregelt. Sie
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